Leser, ich fürchte, du wirst meine Gedichte nicht verstehen.
Du würdest sie verstehen, wenn du sie nach und nach kennenlernen
könntest, und sei es aus verschiedenen Zeitschriften. Aber du hattest
diese Möglichkeit nicht, und so gebe ich mit Schmerzen im Herzen
diesen meinen ersten Gedichtband heraus."
Charms, Notizbuch 1926.
"Gedichte schreiben muß man so, daß, wenn man das Gedicht
gegen das Fenster wirft, das Glas zu Bruch geht." Daniil Charms.
Noten seh ich
sehe rot
sehe Lilien Idiot
Herz ist Hokus
oder nein
Welt ist Jokus
oder doch.
So tritt denn schließlich alles ein
und es ergibt sich Folgerichtigkeit.
Wie merkwürdig wäre, träten zwei Ereignisse
auf einmal gleichzeitig ein.
Rätselfrage: Und wenn statt zweier Ereignisse
acht Seifenblasen einträten?
Antwort: Dann würden wir uns natürlich hinlegen.
Diese Antwort war klar und kurz.
Ein Mensch wurde in Papier eingewickelt.
Es gibt kein Papier. Der Winter ist da.
Gebet vor dem Einschlafen
Am 28. März 1931 um 7 Uhr abends
Herr, mitten am hellichten Tage
ward ich befallen von der Faulheit.
Erlaube mir zu Bett zu gehen und zu schlafen Herr,
und bis ich einschlafe, wiege mich Herr
mit Deiner Kraft.
Vieles möchte ich wissen,
aber weder Menschen noch Bücher sagen es mir.
Nur Du erleuchte mich Herr
auf dem Wege meiner Verse.
Wecke mich stark zum Kampf mit den Bedeutungen,
schnell zum Führen der Wörter
und fleißig im Lobpreisen Deines Namens Herr in Ewigkeit.
Gegrüßet seist du Tisch
viele Jahre hast du mir Lampe und Buch gehalten
auch verschiedenfarbige Bouletten
unter dir bin ich gegangen ohne den Kopf zu beugen
Kissen sammelnd für gedachte Käfer
Wahnsinniger! was hat dich geritten
alles auf den Boden zu werfen
was der Mensch deiner Vernunft anvertraut hat
bleib stehen hölzerner Tunichgut.
Jakov Lejbos er ist Maler
stand beim Bier. Und ich wie er.
Er zu mir: Und du bist Bäcker?
Ich zu ihm: So ungefähr.
Kleines Lied
Einst ging ein Mensch aus seinem Haus
in Mantel, Stock und Hut
Lang ist der Weg
lang ist der Weg
der vor ihm auf sich tut.
Er ging und ging geradeaus
und schaute nicht beiseit.
Nicht schlief nicht trank
nicht schlief nicht trank
er gestern, morgen, heut.
Und eines Tags im Morgengraun
stand er im dunklen Wald
Und seit der Zeit
und seit der Zeit
er für verschwunden galt.
Begegnet ihr ihm irgendwann
an irgend einer Stell
dann sagt es uns
dann sagt es uns
dann sagt es uns ganz schnell.
Im Körbchen saß ein Tier
Stepan mit Namen
das stimmt gar nicht glaube mir
es war einmal ein Kind
das hatte Schilf im Herzen
und kaltes Wasser nur
statt einer Nase hatte es
nur einen Wasserhahn
statt Augen nur ein Loch
und weint und weint und schreit
und stöhnt aus seinem Bauch
Ich weiß warum die Wege
wenn sie sich losreißen von der Erde
mit den Vögeln spielen.
Mir ist bestens bekannt
wohin der Soldat stirbt
wenn er sein letztes Wort gerufen hat.
Die Bleiknöpfe seines Mantels
werden Zeichen
für das was neu sich vor ihm auftut.
Ein zartes Ästchen Wind
bläst in sein Grab.
Mit riesigen Schwüngen der Rippen
fängt der Soldat die Lufträder ein
die das Blut kreisen lassen zur Verlängerung des Lebens.
Nicht schwer ist auszurechnen
wie oft in der Minute das Herz schlägt des Feindes und des Kriegers.
Ferner sei euch das Mittel entdeckt
zur Erforschung der Himmelsbalkone
in denen das Pendel der sechsten Zeit
irdische Grüße versteckt.
Ich will euch den Weg der Rettung weisen.
Ich dachte lange an die Adler
und ich begriff sehr viel:
die Adler fliegen in den Wolken,
sie fliegen, ohne jemand zu berühren.
Und ich begriff, die Adler wohnen auf Felsen in Bergen,
und sind mit den Nymphen gut Freund.
Ich dachte lange an die Adler,
doch ich verwechsle sie mit Fliegen, wie mir scheint.
Es war einmal bei Nacht. Im Fenster
Ein Feuer blinkte wie zum Gruß.
Jede Weisheit ist gut, wenn man sie verstanden hat.
Unverstandene Weisheit setzt leicht Staub an.
Gegenstände und Figuren, entdeckt von Daniil Iwanovic Charms
1. Die Bedeutung jedes Gegenstandes ist vielfältig.
Schaffen wir alle Bedeutungen außer einer ab, so machen wir allein
dadurch den gegebenen Gegenstand unmöglich. Schaffen wir auch diese
letzte Bedeutung ab, so schaffen wir die Existenz des Gegenstandes selbst ab.
2. Jeder Gegenstand (leblos und vom Menschen geschaffen) hat vier
funktionale Bedeutungen und eine fünfte wesentliche Bedeutung.
Die ersten vier sind: 1) die darstellbare (geometrische)
Bedeutung, 2) die zielgerechte, zweckbestimmte (utilitare)
Bedeutung, 3) die Bedeutung der emotionalen Wirkung auf den
Menschen, 4) die Bedeutung der ästhetischen Wirkung auf den
Menschen. Die fünfte Bedeutung definiert sich durch das Faktum der
Existenz des Gegenstandes selbst. Sie steht jenseits des
Verhältnisses zwischen Gegenstand und Mensch und dient nur dem
Gegenstand selbst. Die fünfte Bedeutung ist - der freie Wille des
Gegenstandes.
3. Der Mensch, der mit dem Gegenstand in ein Verhältnis eintritt,
erforscht dessen vier funktionale Bedeutungen. Mit ihrer Hilfe
ordnet sich der Gegenstand im Bewußtsein des Menschen ein, wo er
auch lebt. Würde der Mensch auf die Gesamtheit der Gegenstände mit
nur drei oder vier funktionalen Bedeutungen gestoßen, er würde
aufhören, ein Mensch zu sein.
Der Mensch indessen, der die Gesamtheit der Gegenstände
beobachtet, die aller vier funktionalen Bedeutungen entkleidet
sind, hört auf, Beobachter zu sein, und wird zu einem von ihm
geschaffenen Gegenstand: Sich selbst schreibt er die fünfte
Bedeutung seiner Existenz zu.
4. Die fünfte wesentlichen Bedeutung hat der Gegenstand nur außerhalb
und jenseits des Menschen, d.h., wenn er Vater, Haus und den Boden
unter den Füßen verliert. Ein solcher Gegenstand "SCHWEBT".
5. Schwebend sind nicht nur Gegenstände, sondern auch: Gesten und
Handlungen.
6. Die fünfte Bedeutung des Schrankes ist Schrank.
Die fünfte Bedeutung des Laufs ist Lauf.
7. Die unendliche Vielzahl adjektivischer und komplizierter
literarischer Definitionen des Schranks vereinigt sich in dem Wort
"SCHRANK"
8. Teilte man den Schrank in vier, den vier funktionalen Bedeutungen
des Schranks entsprechende Disziplinen auf, so erhielten wir vier
Gegenstände, die in ihrer Gesamtheit einen Schrank darstellen
würden. Aber das wäre kein Schrank als solcher, und einem solchen
synthetischen Schrank könnte man unmöglich die fünfte Bedeutung
des Einen Schranks zuerkennen. Nur in unserem Bewußtsein
zusamengesetzt, hätte er die vier wesentlichen Bedeutungen und die
vier funktionalen. Und im selben Augenblick der Zusammensetzung
würden außerhalb unser vier Gegenstände leben, die über je eine
wesentliche und je eine funktionale Bedeutung verfügten. Stieße
der Beobachter auf sie - wäre er kein Mensch mehr.
9. Der Gegenstand hat im Bewußtsein des Menschen vier funktionale
Bedeutungen und die Bedeutung als Wort (der Schrank). Das Wort
Schrank und der Schrank als konkreter Gegenstand existieren im
System der konkreten Welt auf der gleichen Ebene wie andere
Gegenstände, Steine und Leuchtkörper. Das Wort Schrank existiert
im System der Begriffe auf der gleichen Ebene wie die Wörter:
Mensch, Unfruchtbarkeit, Dichte, Übergang usw.
10. Die fünfte wesentliche Bedeutung des Gegenstandes im konkreten
System und im System der Begriffe ist unterschiedlich. Im ersten
Falle ist sie der freie Wille des Gegenstandes, im zweiten - der
freie Wille des Wortes (oder des Gedankens, der durch das Wort
nicht ausgedrückt wird, aber wir beschränken uns hier auf die
durch Wörter ausgedrückten Begriffe).
11. Jede beliebige Reihe von Gegenständen, die die Verbindung ihrer
funktionalen Bedeutungen zerstört, bewahrt die Verbindung der
wesentlichen Bedeutungen, fünf an der Zahl. Eine Reihe dieser Art
ist keine menschliche Reihe, sondern ist ein Gedanke der
gegenständlichen Welt. Betrachtet man eine solche Reihe als ganze
Größe und als neu entstandenen synthetischen Gegenstand, so können
wir diesem neue Bedeutungen zuerkennen, drei an der Zahl: 1) eine
geometrische, 2) eine ästhetische und 3) eine wesentliche.
12. Überführt man diese Reihe in ein anderes System, so erhalten wir
eine Wortreihe, die menschlich SINNLOS ist.
Über die Zeit, über den Raum, über die Existenz
(Ausschnitte)
I
1. Eine Welt, die nicht da ist, kann nicht existent genannt werden,
weil sie nicht da ist.
2. Eine Welt, die aus einem Einen, Gleichen und Unendlichen besteht,
kann nicht existent genannt werden, weil es in einer solchen Welt
keine Teile gibt, und wenn es keine Teile gibt, gibt es auch kein
Ganzes.
3. Eine existierende Welt muß uneinheitlich sein und Teile haben.
...
7. Nennen wir den ersten Teil dieses, den zweiten Teil jenes, und den
Übergang vom einen zum anderen nennen wir nichtjenes und nichtdieses.
8. Nennen wir nichtjenes und nichtdieses das 'Hindernis'.
9. Ergo: Grundlage der Existenz bilden drei Elemente: dieses, das
Hindernis und jenes.
10. Stellen wir die Nichtexistenz durch eine Null oder eine Eins dar.
Dann müssen wir die Existenz darstellen durch die Ziffer Drei.
11. Ergo: Teilen wir die einheitliche Leere in zwei Teile, so erhalten
wir die Dreiheit der Existenz.
12. Oder: Die einheitliche Leere, die auf ein bestimmtes Hindernis
stößt, wird in Teile gespalten und bildet so die Dreiheit der
Existenz.
13. Das Hindernis ist folglich der Schöpfer, der aus dem 'Nichts' ein
'Etwas' macht.
...
22. Die Existenz unseres Alls wird gebildet aus dreimal 'Nichts' oder
nichtexistierenden 'Etwas': Raum, Zeit und etwas, das weder Zeit noch
Raum ist.
23. Die Zeit ist, ihrem Wesen nach, einheitlich, gleich und unendlich,
deshalb existiert sie nicht.
24. Der Raum ist, seinem Wesen nach, einheitlich, gleich und
unendlich, deshalb existiert er nicht.
25. Sobald aber Raum und Zeit in ein bestimmtes Wechselverhätnis
treten, werden sie füreinander zum Hindernis und beginnen zu
existieren.
26. Mit Beginn ihrer Existenz werden Raum und Zeit wechselseitig Teil
voneinander.
27. Die Zeit, die auf das Hindernis der Vergangenheit stößt, wird in
Teile gespalten und bildet die Dreiheit der Existenz.
28. Die in Teile gespaltene, existierende Zeit besteht aus den drei
Grundelementen der Existenz: aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
...
34. Die 'Gegenwart' ist nur das 'Hindernis' beim Übergang aus der
Vergangenheit in die Zukunft, und Vergangenheit und Zukunft erscheinen
uns als dieses und jenes der Existenz der Zeit.
35. Ergo: Die Gegenwart erscheint uns als 'Hindernis' in der Existenz
der Zeit, und - wie bereits oben gesagt - als Hindernis in der
Existenz der Zeit dient der Raum.
36. Das bedeutet: Die 'Gegenwart' der Zeit ist der Raum.
37. In Vergangenheit und Zukunft gibt es keinen Raum, er liegt zur
Gänze in der 'Gegenwart' beschlossen. Und die Gegenwart erscheint als
Raum.
38. Und da es eine Gegenwart nicht gibt, gibt es auch keinen Raum.
39. Damit haben wir die Existenz der Zeit erklärt , der Raum als
solcher hingegen existiert noch nicht.
40. Um die Existenz des Raumes zu erklären, muß man den Fall annehmen,
daß die Zeit als Hindernis des Raumes erscheint.
41. Stößt der Raum auf das Hindernis der Zeit, so wird er in Teile
gespalten und bildet die Dreiheit der Existenz.
42. Der in Teile gespaltene, existierende Raum besteht aus drei
Elementen: Dort, Hier und Dort.
...
45. Das bedeutet: Das Hier des Raumes ist die Zeit.
...
52. Dieses 'etwas', das sich im Schnittpunkt von Raum und Zeit
befindet, bildet ein bestimmtes 'Hindernis', das das 'Hier' von der
'Gegenwart' trennt.
53. Dieses 'etwas', das ein Hindernis darstellt und das 'Hier' von der
'Gegenwart' trennt, konstituiert eine bestimmte Existenz, die wir
Materie oder Energie nennen. (Wir nennen sie im Folgenden
verabredungshalber einfach Materie.
54. Ergo: Die Existenz des Alls, konstituiert durch Raum, Zeit und
deren beider Hindernis, drückt sich aus in der Materie.
...
58. Zeit, Raum und Materie, die einander in bestimmten Punkten
schneiden und als Grundelemente der Existenz des Alls erscheinen,
bilden einen gewissen Knoten.
59. Nennen wir diesen Knoten - den Knoten des Alls.
60. Wenn ich von mir sage: 'Ich bin', füge ich mich ein in den Knoten
des Alls.
...
II
25. Paradies - 'dieses'. Welt - 'Hindernis'. Paradies - 'jenes'.
Der Säbel (Ausschnitt)
§4
Da stehen wir und sagen:
Ich strecke einen Arm nach vorn, den anderen
nach hinten. Ich ende also vor mir, wo mein Arm endet, und hinten ende
ich ebenfalls dort, wo mein Arm endet. Oben ende ich mit dem Scheitel,
unten mit den Fersen, seitlich mit den Schultern. Das bin ich. Und was
außer mir, außerhalb meiner ist, bin ich nicht mehr. Nun, da wir uns
vollständig abgetrennt haben, reinigen wir unsere Ränder, damit
sichtbar wird, wo das Nicht-mehr-wir beginnt. Reinigen wir den
untersten Punkt, die Stiefel, den höchsten Punkt - den Scheitel -
markieren wir mit einer Mütze, an die Arme legen wir glänzende
Manschetten, an die Schultern Epauletten. Jetzt auf einmal ist
sichtbar, wo wir enden und wo alles andere beginnt.
§5
Das sind die drei Paare unserer Ränder:
1. Arm - Arm
2. Schulter - Schulter
3. Scheitel - Ferse.
§6
FRAGE Hat unsere Arbeit schon begonnen? Und wenn, worin besteht sie?
ANTWORT Unsere Arbeit wird sofort beginnen, und sie besteht in der
Registratur der Welt, denn wir sind nicht mehr die Welt.
FRAGE Wenn wir nicht mehr die Welt sind, was sind wir dann?
ANTWORT Doch, wir sind Welt. D.h., ich habe mich nicht ganz richtig
ausgedrückt. Wir sind noch Welt, aber wir sind allein für uns, und sie
ist für sich. Das muß ich erklären: es gibt Zahlen: 1,2,3,4,5,6,7 usw.
Alle diese Zahlen bilden eine Reihe des Zählens und Rechnens. In ihr
findet jede Zahl ihren Platz. Nur die 1 ist eine besondere Zahl. Sie
kann abseits stehen, als Indikator für die Abwesenheit von Zählung.
Die 2 dagegen ist die erste Vielzahl, und nach der 2 alle anderen
Zahlen. Bestimmte Primitive können nur so zählen: eins und viel. So
sind auch wir in der Welt so etwas wie eine Eins in der Reihe der
Zahlen.
FRAGE Schön, und wie wollen wir die Welt registrieren?
ANTWORT So, wie die Eins alle übrigen Zahlen registriert, indem sie
sich in sie hineinlegt und beobachtet, was dabei herauskommt.
FRAGE Aber registriert die Eins denn die anderen Zahlen?
ANTWORT Nehmen wir an, es wäre so. Aber das spielt keine Rolle.
FRAGE Seltsam. Und wie legen wir uns in die anderen, über die Welt
verteilten Gegenstände hinein? Indem wir schauen, um wieviel länger,
breiter und höher ein Schrank ist als wir? Meinst du das, ja?
ANTWORT Die Eins stellt sich uns dar als Zeichen in der Gestalt eines
Stäbchens. Das Zeichen für Eins ist nur die bequemste Form zur
Darstellung der Einheit Eins, wie jedes andere Zahlenzeichen. So sind
auch wir nur die bequemste Form unserer Selbst.
Die Eins, die die Zwei registriert, ist nicht einzupassen in das
Zeichen Zwei. Die Eins registriert die Zahlen mithilfe ihrer
Eigenschaft. So müssen auch wir vorgehen.
FRAGE Aber was ist unsere Eigenschaft?
Traktat mehr oder weniger nach der Lektüre Emersons
1. Über Geschenke
Unvollkommene Geschenke sind solche Geschenke:
zum Beispiel: wir
schenken jemandem zum Namenstag den Deckel eines Tintenfasses. Und wo
ist das Tintenfaß selbst? Oder wir schenken ihm ein Tintenfaß mit
Deckel. Und wo ist der Tisch, auf dem das Tintenfaß stehen sollte?
Wenn der Beschenkte schon einen Tisch hat, so wird das Tintenfaß zum
vollkommenen Geschenk. Stets vollkommene Geschenke sind Schmuckstücke
für den nackten Körper, wie zum Beispiel Ringe, Armreifen, Colliers
usw. (vorausgesetzt natürlich, der Beschenkte ist kein Krüppel), oder
Geschenke wie, zum Beispiel, ein Stäbchen, an dessem einem Ende eine
kleine Holzkugel befestigt ist, am anderen Ende dagegen ein hölzerner
Würfel. Ein solches Stäbchen kann man in Händen halten oder, wenn man
es weglegt, dann ist vollkommen gleichgültig, wohin. Ein solches
Stäbchen ist sonst zu nichts nütze.
2. Die richtige Art, sich mit Gegenständen zu umgeben
Angenommen, irgendein vollkommen nackter Hausblockverwalter beschließt
sich einzurichten und mit Gegenständen zu umgeben. Wenn er mit einem
Stuhl anfängt, so braucht er zu dem Stuhl einen Tisch, zum Tisch eine
Lampe, dann ein Bett, dann Bettdecke, Laken, Kommode, Wäsche, Anzug,
Kleiderschrank, dann ein Zimmer, in das er alles stellen kann, usw.
Hier kann in jedem Punkt des Sytems ein kleines Untersystem entstehen,
ein Nebensystem. Auf das runde Tischchen möchte man ein Deckchen
legen, auf das Deckchen eine Vase stellen, in die Vase ein Blümchen
stecken. Dieses System, sich mit Gegenständen zu umgeben, wo der eine
Gegenstand den nächsten nach sich zieht, ist das falsche System, denn
wenn in einer Blumenvase keine Blumen stehen, wird die Vase sinnlos,
und wenn man die Vase wegnimmt, wird das runde Tischchen sinnlos, man
kann zwar auch eine Karaffe mit Wasser daraufstellen, aber wenn man in
die Karaffe kein Wasser gießt, so bleibt die Feststellung über die
Blumenvase in Kraft. Die Abschaffung des einen Gegenstandes zerstört
das gesamte System. Und wenn der nackte Hausblockverwalter Ringe und
Armreifen anlegen und sich mit Kugeln und Zelluloideidechsen umgeben
würde, so würde der Verlust eines Gegenstandes am Wesen der Sache
nichts ändern. Dieses System, sich mit Gegenständen zu umgeben, ist
das richtige System.
3. Die richtige Abschaffung der Gegenstände
Ein, wie gewöhnlich, minderbemittelter französischer Schriftsteller,
und zwar Alphonse Daudet, hat den überaus belanglosen Gedanken
geäußert, daß der Gegenstand nicht an uns hinge. Selbst der
uneigennützigste Mensch, der soeben Uhr, Mantel und Buffet verloren
hat, wird diesen Verlust bedauern. Aber selbst wenn man die
Anhänglichkeit der Gegenstände aufhöbe, wird jeder Mensch, der Bett
und Kopfkissen verloren hat, die Dielen des Fußbodens verloren hat und
sogar die mehr oder weniger bequemen Steine, und den danach die
Schlaflosigkeit heimsucht, anfangen, den Verlust der Gegenstände und
der mit ihnen zusammenhängenden Bequemlichkeit zu bedauern. Deshalb
ist die Abschaffung der Gegenstände, die man nach dem falschen
Prinzip, sich mit Gegenständen zu umgeben, um sich versammelt hat, die
falsche Art der Abschaffung von Gegenständen, die einen umgeben. Die
Abschaffung der einen umgebenden stets vollkommenen Geschenke dagegen,
wie Holzkugeln, Zelluloideidechsen usw., wird einem mehr oder weniger
uneigennützigen Menschen nicht das geringste Bedauern abnötigen.
Schaffen wir die uns umgebenden Gegenstände auf die richtige Weise ab,
so verlieren wir den Geschmack an jeglichem Erwerb.
4. Über die Annäherung an die Unsterblichkeit
Jedem Menschen eignet das Streben nach Genuß, welcher immer besteht
entweder in sexueller Befriedigung oder in Sättigung, oder im Erwerb
von Gegenständen. Doch nur, was nicht auf dem Wege des Genusses liegt,
führt zur Unsterblichkeit. Alle Systeme, die zur Unsterblichkeit
führen, lassen sich im Prinzip auf die eine Regel zurückführen: Tu
beständig das, wozu du keine Lust hast, denn jeder Mensch möchte immer
entweder essen oder seinen Geschlechtstrieb befriedigen oder irgend
etwas erwerben oder mehr oder weniger alles zugleich.
Interessanterweise hängt die Unsterblichkeit immer mit dem Tod
zusammen und wird von verschiedenen religiösen Systemen entweder als
ewiger Genuß behandelt oder als ewiges Leiden oder als die ewige
Freiheit von Genuß und Leiden.
5. Über die Unsterblichkeit
Recht hat der, dem Gott das Leben als vollkommenes Geschenk geschenkt
hat.
Christoph Columbus und Bobrov (Ausschnitt)
Bobrov sitzt am Tisch und ißt Suppe.
Seine Frau kommt herein in einem Hemd, mit einem Schirm.
Bobrov: Wo willst du hin?
Frau: Dorthin.
Bobrov: Wohin dorthin?
Frau: Na dorthin.
Bobrov: Wohin dorthin oder dorthin?
Frau: Nein, nicht dorthin, sondern dorthin.
Bobrov: Und was?
Frau: Wie was?
Bobrov: Wo du hingehst?
Frau: Ich habe mich in die Baronesse und das Tintenfaß verliebt.
Bobrov: Das ist gut.
Frau: Das ist gut, ja, aber Christoph Columbus hat in unsere Köchin ein Fahrrad hineingerammt.
Bobrov: Aarme Küchün.
Frau: Die Ärmste sitzt in der Küche und schreibt einen Brief aufs
Dorf, und das Fahrrad ragt nur so aus ihr heraus.
Bobrov: Ja, ja. Das ist ein Fall. Ich weiß noch, bei uns im Heim im
Jahr 1887 hat es auch einen gegeben. Wir hatten einen Lehrer. Dem
haben wir das Gesicht mit Terpentin vollgeschmiert und in der Küche
unter den Küchentisch gelegt.
Frau: Mein Gott, warum erzählst du das?
Bobrov: Da war noch ein Fall.
Der Wurstmensch tritt auf.
Die neugierigen alten Frauen
Eine alte Frau lehnte sich aus übergroßer Neugierde
zu weit aus dem Fenster, fiel und zerschellte.
Aus dem Fenster lehnte sich eine zweite alte Frau und begann, auf die
Tote hinabzuschauen, aber aus übergroßer Neugierde fiel auch sie aus
dem Fenster, fiel und zerschellte.
Dann fiel die dritte alte Frau aus dem Fenster, dann die vierte, dann
die fünfte.
Als die sechste alte Frau hinausgefallen war, hatte ich es satt, ihnen
zuzuschauen, und ging auf den Malcevskij Markt, wo man angeblich einem
Blinden einen gestrickten Schal geschenkt hatte.
Petja kommt in ein Restaurant
und setzt sich an einen Tisch. Der
Kellner bringt die Karte und legt sie vor Petja auf den Tisch. Petja
schaut in die Karte.
Petja: Geben Sie mir, wenn Sie haben, Boeuf boulli.
Kellner: Geb ich Ihnen nicht.
Petja schaut erschrocken den Kellner an: Boeuf...
Kellner: Und außerdem schmeiße ich Sie gleich zur Tür hinaus.
Petja drohend: Was soll das heißen?
Kellner: Schon gut, schon gut. Gehen Sie.
Petja: Ich gehe nicht. Ich bin Ingenieur.
Zieht ein Papier aus der Tasche und hält es dem Kellner hin.
Kellner nimmt das Papier in die Hände, betrachtet es und sagt:
Woher soll ich wissen, daß Sie das sind. Vielleicht haben Sie das Dokument
gestohlen.
An der Quaimauer unseres Flusses
hatte sich eine sehr große
Menschenmenge gesammelt. In den Fluß gefallen war der
Regimentskommandeur Sepunov. Er verschluckte sich in einem fort,
sprang bis zum Bauch aus dem Wasser, schrie und versank wieder im
Wasser. Er schlug mit den Armen nach allen Seiten und schrie wieder um
Hilfe.
Die Menge stand am Ufer und schaute mit finsterer Miene zu.
- Er geht unter, - sagte Kuzma.
- Klar geht er unter, - bestätigte ein Mann mit einer Schirmmütze. Und
tatsächlich, der Regimentskommandeur ging unter.
Die Menge begann sich zu verlaufen.
Es ging eine Straßenbahn,
die unter dem Schein zweier Laternen einen
Frosch versteckte. In ihrem Inneren ist alles zum Sitzen und zum
Stehen eingerichtet. Makellos sei ihre Schlange und die Leute, die in
ihr sitzen, wie auch die Leute, die zum Ausgang gehen. Unter ihnen
begegnet man Tieren mancherlei Inhalts. Auch diejenigen, für die im
Wagen der Platz nicht reichte, steigen in einen anderen Wagen. Aber
hol sie doch alle der Teufel. Es geht nämlich darum, daß feiner Regen
ging, aber nicht sofort klar wurde: war es ein Regen, war es ein
Wanderer. Untersuchen wir dies im einzelnen: Danach zu urteilen, daß,
wenn man in der Jacke dasteht, diese binnen kurzer Zeit durchnäßt ist
und am Körper klebt, - ging ein Regen. Aber danach zu urteilen, daß
über dem Ruf: "Wer geht da?" im ersten Stockwerk ein Fenster aufgeht,
in ihm ein Kopf erscheint, der wem auch immer gehören mag, nur keinem
Menschen, der bis zu der Wahrheit vorgedrungen wäre, daß Wasser die
Gesichtszüge erfrischt und veredelt, und wütend zurückbellt: "Dir
ziehe ich gleich das hier (und bei diesen Worten erscheint in dem
Fenster etwas, das Ähnlichkeit mit einem Kavalleriestiefel und einer
Axt zugleich hat) zweimal drüber, dann weißt du es sofort!" - danach
zu urteilen, ging eher ein Wanderer, wenn nicht gar ein Obdachloser;
auf jeden Fall befand sich ein solcher irgendwo in der Nähe,
möglicherweise hinter dem Fenster.
Ein Mensch schlief von klein auf bis ins hohe Alter
immer auf dem
Rücken mit gefalteten Händen. Schließlich und endlich starb er.
Schlafe deshalb auf der Seite.
Wir möchten hier keine Namen nennen,
denn die Namen, die wir hier
nennen könnten, gehören zu so unbedeutenden Personen, daß es keinerlei
Sinn hätte, sie hier zu erwähnen - auf Seiten, die der Lektüre unserer
fernen Nachfahren vorbehalten sind. Wie dem auch sei, diese Namen
wären, zum Zeitpunkt, da sie gelesen werden, längst vergessen und
hätten jede Bedeutung verloren. Greifen wir deshalb zu erfundenen
Namen und nennen unseren Helden Andrej Golov. Unser Held war eben erst
aus der Gusev-Gasse auf die Petrograder Seite umgezogen, und hier, in
der ersten Nacht, die er in der neuen Wohnung verbrachte, träumte er
von einem Menschen, dessen Gesicht aussah wie Tantalos.
Zu Beginn war der Traum wenig beängstigend, eher sogar heiter. Andrej
sah sich selbst auf einer grünen Wiese. Irgendwo zwitscherten Vögel,
und am Himmel, so schien ihm, zogen Schäfchenwolken. In der Ferne sah
Andrej einen Kiefernwald und ging auf ihn zu. Hier geschah, wie es in
Träumen oft zu sein pflegt, etwas Unbegreifliches, woran Andrej sich,
als er wieder erwachte, nicht mehr erinnern konnte. Weiter erinnert
sich Andrej schon an den Kiefernwald. Die Kiefern standen ziemlich
licht, der Himmel war gut zu sehen. Andrej sah, wie am Himmel eine
Gewitterwolke heraufzog. Hier geschah erneut etwas Unbegreifliches,
woran Andrej sich später ebenfalls nicht erinnern konnte.
Ich kletterte auf einen Zaun,
fiel aber sofort wieder herunter.
- Ach, - sagte ich und kletterte wieder auf den Zaun. Aber kaum saß
ich rittlings auf dem Zaun, als plötzlich Wind einsetzte und mir den
Hut vom Kopf riß. Der Hut flog über der Hühnerstall und fiel in die
Kletten.
Pavel Supov sah Karuseljev durchdringend an
und aß währenddessen vier
Kilogramm Zucker.
Karuseljev runzelte die Brauen, sagte aber nichts.
Da holte sich Pavel Supov etwas aus der Nase und steckte es in seine Jackentasche.
- Was haben Sie da gerade gemacht? - fragte Karuseljev.
Begegnung
Da ging einmal ein Mensch ins Büro
und traf unterwegs einen anderen
Menschen, der soeben ein französisches Weißbrot gekauft hatte und sich
auf dem Heimweg befand.
Das ist eigentlich alles.
Ich möchte Ihnen einen Vorfall erzählen,
der sich mit einem Fisch
ereignet hat, oder eigentlich, genauer, nicht mit einem Fisch, sondern
mit einem Menschen namens Patrulev, oder eigentlich, noch genauer, mit
Patrulevs Tochter.
Beginnen wir direkt bei der Geburt. A propos Geburt: bei uns wurde auf
dem Fußboden entbunden... Oder erzählen wir das lieber später.
Offen gesagt:
Patrulevs Tochter wurde an einem Sonnabend geboren. Bezeichnen wir
diese Tochter mit dem lateinischen Buchstaben M. Nachdem wir diese
Tochter mit dem lateinischen Buchstaben M bezeichnet haben, stellen
wir fest:
1. Zwei Arme, zwei Beine, besondere Anzeichen keine.
2. Die Ohren verfügen über dasselbe wie die Augen.
3. Laufen ist ein Verb, das auf Fuß lautet.
4. Fühlen ist ein Verb, das auf Hand lautet.
5. Einen Schnurrbart haben kann nur ein Sohn.
6. Mit dem Hinterkopf kann man nicht sehen, was an der Wand hängt.
17. Beachten Sie, daß nach der sechs die siebzehn kommt. Um das Bild
aufzufüllen, merken wir uns diese siebzehn Postulate.
Jetzt stützen wir uns mit der Hand auf das fünfte Postulat und sehen
nach, was das ergibt.
Wenn wir uns auf das fünfte Postulat mit einem Handwagen stützen
würden oder mit Zucker oder mit einem naturfarbenen Band, so müßte man
sagen: ja, und noch etwas.
Aber in Wirklichkeit stellen wir uns vor, und der Einfachheit halber
vergessen wir auch gleich, was wir uns soeben vorgestellt haben.
Sehen wir jetzt nach, was das ergibt.
Sie sehen hierhin, ich dagegen sehe hierhin, und das ergibt, daß wir
beide dorthin sehen.
Oder, genauer gesagt, ich sehe dorthin, und Sie sehen in die andere
Richtung.
Machen wir uns jetzt klar, was wir sehen. Dazu ist vollkommen
ausreichend, daß man sich im einzelnen klarmacht, was ich sehe und was
Sie sehen.
Ich sehe die eine Hälfte des Hauses, und Sie sehen die andere Hälfte
der Stadt. Nennen wir das der Einfachheit halber Hochzeit.
Gehen wir jetzt zu Patrulevs Tochter über. Ihre Hochzeit war, nun,
sagen wir, dann und dann. Wenn die Hochzeit früher gewesen wäre, so
würden wir sagen, die Hochzeit hätte vor der Zeit stattgefunden. Wenn
die Hochzeit später gewesen wäre, so würden wir sagen "Volna", weil
die Hochzeit später stattgefunden hätte.
Alle siebzehn Postulate oder sogenannten Federn liegen vor.
Gehen wir jetzt zum Weiteren über.
Neue Anatomie
Einem kleinen Mädchen wuchsen aus der Nase
zwei blaue Bänder. Ein
seltener Fall, denn auf dem einen Band stand "Mars" geschrieben, und
auf dem anderen "Jupiter".
Es ist nützlich für den Menschen,
nur das zu wissen, was er wissen
soll. Dazu kann ich als Beispiel folgenden Fall anführen:
ein Mensch wußte ein wenig mehr, und ein anderer ein wenig weniger,
als sie hätten wissen sollen. Und was geschah? Der eine, der ein wenig
weniger wußte, wurde reich, der andere, der ein wenig mehr wußte,
verbrachte sein Leben lang nur im Wohlstand.
Ein Mönch stieg hinab in die Gruft
zu den Toten und rief: "Christ ist
erstanden!" Und alle antworteten ihm im Chor: "Er ist erstanden,
wahrhaftig erstanden!".
Ich, O, ich sir, ich is,
Ich bin drei Teile, lehre mich das Lesen.
Wir sagen Das bin ich.
Ich schenke dir den Schlüssel damit du sagst
Ich.
Ich nehme den Schlüssel, wann, wie uns unsere Großmütter sagten, finde
ich die Blume Farn, die nur einmal im Jahr blüht, in der Nacht vor
Ivan Kupalo.
Aber wo wächst diese Blume? Sie wächst im Wald unter einem Baum, der
auf dem Kopf steht.
Du gehst durch den großen schlafenden Wald, findest aber keinen
einzigen Baum, der auf dem Kopf stehend gewachsen wäre. Dann suche dir
den schönsten Baum aus und klettere auf ihn hinauf. Befestige dort das
eine Ende des Stricks an einem Ast, das andere Ende an deinen Beinen.
Spring dann von dem Baum, und du wirst mit dem Kopf nach unten hängen
und meinen, der Baum stünde auf dem Kopf.
Wenn du in den Wald gehst, schau vorher zum Fenster hinaus, wie das
Wetter ist.
Ich schaue zum Fenster hinaus und sehe, dort beginnt die Straße, dort
beginnt das freie Feld, dort steht ein Baum.
Die Himmel drehen sich um und fallen auf die Erde, Erde und Wasser
fliegen auf in den Himmel, die ganze Welt steht auf dem Kopf.
Wenn du das alles siehst, dann entdeckt sich dir, dann erblüht in
deiner Brust die Blume.
Ich sage: das ist das Ende der alten Welt, denn ich habe eine neue
Welt gesehen.
Geschichten von Himmelkumov
I
Himmelkumov beobachtete ein Mädchen
im Fenster gegenüber. Aber das
Mädchen im Fenster gegenüber schaute kein einziges Mal zu Himmelkumov
herüber. "Das macht sie, weil sie schüchtern ist", dachte Himmelkumov.
II
Himmelkumov bemalte sein Gesicht mit grüner Tusche und trat ans
Fenster. "Sollen alle denken: ist der aber merkwürdig", sagte
Himmelkumov zu sich selbst.
III
Der Tabak war alle, und Himmelkumov hatte nichts mehr zu rauchen. Er
zog an der leeren Pfeife, aber das verschlimmerte nur noch die Qual.
So vergingen ein, zwei Stunden. Und dann war wieder Tabak da.
IV
Himmelkumov fixierte ein Mädchen mit Blicken und befahl ihm in
Gedanken, den Kopf nach ihm umzudrehen. Aber das half nichts. Da
befahl Himmelkumov ihr in Gedanken, den Kopf nicht nach ihm
umzudrehen. Das half auch nichts.
V
Himmelkumov suchte nach einer inneren Idee, um sich sein Leben lang in
sie zu vertiefen. Es ist angenehm, in einem Punkt wie verrückt zu
sein. Überall und in allem sieht ein solcher Mensch diesen seinen
Punkt. Alles ist Wasser auf seine Mühlen. Alles steht in direkter
Beziehung zu seinem Lieblingspunkt.
VI
Plötzlich erfaßte Himmelkumov eine schreckliche Gier. Aber worauf sich
diese Gier erstreckte, war unklar. Himmelkumov repetierte die Regeln
der Silbentrennung und dachte lange über die Buchstaben st nach, die
nicht getrennt werden. "Jetzt bin ich aber gierig", sagte Himmelkumov
zu sich selbst. Ihn biß ein Floh, er kratzte sich und trennte in
Gedanken das Wort Geistestiefe, mit dessen zweiter Hälfte die neue
Zeile anfangen sollte.
Das blaue Heft Nr. 10
Es war einmal ein Rotschopf,
der hatte weder Augen noch Ohren. Er
hatte auch keine Haare, so daß man ihn an sich grundlos einen
Rotschopf nannte.
Sprechen konnte er nicht, denn er hatte keinen Mund.
Eine Nase hatte er auch nicht.
Er hatte sogar weder Arme noch Beine. Er hatte keinen Bauch, er hatte
keinen Rücken, er hatte kein Rückgrat, er hatte auch keinerlei
Eingeweide. Nichts hatte er! So daß unklar ist, um wen es hier
eigentlich geht.
Reden wir lieber nicht weiter darüber.
Die vierbeinige Krähe
Es war einmal eine Krähe, die hatte vier Beine.
Sie hatte eigentlich
sogar fünf Beine, aber darüber lohnt nicht zu reden.
Einmal hatte sich die vierbeinige Krähe Kaffee gekauft und dachte:
"So, ich habe mir Kaffee gekauft, aber was mache ich jetzt damit?"
Da kam unglücklicherweise ein Fuchs des Wegs. Er sah die Krähe und
rief ihr zu: - He, - ruft er, - du Krähe!
Und die Krähe ruft zurück:
- Selber Krähe!
Ruft der Fuchs zurück:
- Und du, Krähe, bist ein Schwein!
Da verschüttete die Krähe vor Ärger den ganzen Kaffee. Und der Fuchs lief davon. Die Krähe aber kletterte zur Erde hinab und ging auf ihren
vier, genauer, auf ihren fünf Beinen in ihr armseliges Haus.
1. Akt
Koka Brjanskij: Ich heirate heute.
Mutter: Was?
Koka Brjanskij: Ich heirate heute.
Mutter: Was?
Koka Brjanskij: Ich sage, ich heirate heute.
Mutter: Was sagst du?
Koka: Ich sage, ich will heu-te - hei-ra-ten!
Mutter: Hei? Was heißt das, hei?
Koka: Hei-rat!
Mutter: Rat? Was für ein Rat?
Koka: Nicht Rat, sondern Hei-Rat!
Mutter: Also doch kein Rat?
Koka: Genau, kein Rat, und aus.
Mutter: Was?
Koka: Na, kein Rat. Verstehst du! Kein Rat.
Mutter: Jetzt kommst du wieder mit diesem Rat. Ich weiß nicht, wieso Rat.
Koka spuckt aus: Tffu! Hei und Rat! Was soll denn dieses Hei! Du mußt
doch selbst sehen, einfach hei zu sagen, ist unsinnig!
Mutter: Was sagst du?
Koka: Hei, sage ich, ist unsinnig!!!
Mutter: Nig?
Koka: Was soll denn das bloß? Wie bringst du das fertig, nur einen
Wortfetzen zu hören, und dann noch so einen sinnlosen: nig! Warum
ausgerechnet nig!
Mutter: Jetzt sagst du wieder nig!
Koka Brjanskij würgt seine Mutter. Die Braut Marusja tritt auf.
Ein Mensch legte sich als Gläubiger schlafen,
und erwachte als Ungläubiger.
Zum Glück stand im Zimmer dieses Menschen eine Medizinalwaage, und der
Mensch hatte die Gewohnheit, sich jeden Tag morgens und abends zu
wiegen. Und so hatte der Mensch beim Wiegen am Abend zuvor erfahren,
daß er 4 Pud und 21 Pfund wog. Am anderen Tage aber, als Ungläubiger
aufgestanden, wog der Mensch sich erneut und erfuhr, daß er nurmehr 4
Pud und 13 Pfund wog. "Also, - sagte sich der Mensch, - wog mein
Glaube annähernd 8 Pfund.".
- Setzen Sie sich bitte zum Tee, - sagte Sirin,
nachdem er den
Kerosinkocher abgestellt und sich die Hände an einem braunen Handtuch
abgetrocknet hatte.
Manazov verbeugte sich und setzte sich zu Tisch.
- Hier ist Käse, - sagte Sirin, auf einen leeren Teller zeigend, - und
hier Varenje. - Und Sirin zeigte auf ein kleines Einmachglas, das mit
durchsichtigem Wasser gefüllt war.
Manazov schaute auf den leeren Teller und auf das Wasser in dem
Einmachglas.
Schaffner (zum Chor):
Was habt ihr hier zu singen!
Hier ist nicht der Ort.
Wo sind eure Billetts?
Chor:
Hier sind die Billetts!
Hier sind die Briketts!
Und hier die Kling-Klang-Klarinetts!
Schaffner:
An der nächsten Haltestelle setze ich euch an die Luft
Daf Märchen
Acht Menschen fafen auf der Banke
Daf war auch fon mein Märchen. Danke.
Bobrov ging die Straße entlang
und dachte: warum, warum, wenn man Sand
in die Suppe schüttet, schmeckt dann die Suppe nicht mehr?
Plötzlich sah er am Straßenrand ein kleines Mädchen sitzen, das einen
Wurm in der Hand hielt und weinte.
- Warum weinst du? - fragte Bobrov das kleine Mädchen.
- Ich weine nicht, ich singe, - sagte das kleine Mädchen.
- Aber warum singst du so? - fragte Bobrov.
- Damit der Wurm lachen kann, - sagte das Mädchen, - und ich heiße
Natascha.
- Ach so? - staunte Bobrov.
- Ja, genau so - sagte das Mädchen, - auf Wiedersehen.
Das Mädchen sprang auf, setzte sich auf sein Fahrrad und fuhr davon.
- So klein und kann schon Fahrrad fahren, - dachte Bobrov.
Ich sah vor mir ein Haus
und das Haus war zweihundertundzwei Meter von
mir entfernt. Da ging ich näher und das Haus stand
einhundertneunundfünfzig Meter von mir entfernt. Als ich noch näher
heranging, kam aus dem Haus ein Mensch, kniete nieder und brach in
Tränen aus. - Warum kniest du da und weinst, - fragte ich. - Ich knie
hier und weine, - antwortete er, - damit ich den Augenblick nie
vergesse, als du dich mir zugewandt hast, und damit du mich nie
vergißt.
Der Erfinder Anton Pavlovic Shilov setzte sich
auf ein Bänkchen im
Sommergarten. (Es gibt in Leningrad einen Garten dieses Namens, er
heißt so, und das Ereignis, das ich jetzt beschreiben werde, geschah
im Winter des Jahres 1933.)
- Schön, - sagte Anton Pavlovic. - Nehmen wir an, der Hebel ist
richtig befestigt und reißt die Bombe nach oben.
Die Erde steht auf drei Walen.
Die Wale stehen auf einer Schildkröte.
Die Schildkröte schwimmt im Meer. Ist das so? Nein, es ist nicht so.
Die Erde hat einfach die Form einer umgestülpten Tasse und schwimmt
selber im Meer. Und über der Erde die Mütze des Himmelsgewölbes. An
dem Gewölbe bewegen sich die Sonne, der Mond und die beweglichen
Sterne - die Planeten. Die Fixsterne sind an dem Himmelsgewölbe
befestigt und drehen sich zusammen mit ihm.
Ich wurde im Schilf geboren.
Wie eine Maus. Meine Mutter gebar mich
und legte mich ins Wasser. Und ich schwamm los. Ein Fisch mit vier
Schnurrbarthaaren am Maul umkreiste mich. Ich fing an zu weinen. Auch
der Fisch mußte weinen. Auf einmal sahen wir auf dem Wasser Brei
schwimmen. Wir aßen diesen Brei und fingen an zu lachen. Uns war sehr
fröhlich zumute, und wir schwammen mit der Strömung weiter, da
begegneten wir einem Krebs. Es war ein uralter großer Krebs; er hielt
in seinen Scheren eine Axt. Hinter dem Krebs schwamm ein nackter
Frosch. "Warum bist du immer nackt, - fragte ihn der Krebs, - daß du
dich nicht schämst!" - "Warum denn, antwortete der Frosch, - Warum
sollten wir uns unseres schönen Körpers schämen, den uns die Natur
geschenkt hat, wenn wir uns nicht einmal unserer gemeinen Handlungen
schämen, die wir selbst begangen haben?" - "Du hast recht, - sagte der
Krebs. - Ich wieß selbst nicht, was ich dir darauf antworten soll. Ich
schlage vor, wir fragen den Menschen, denn der Mensch ist klüger als
wir. Wir sind nur in den Fabeln klug, die der Mensch über uns
schreibt, was am Ende wieder nur bedeutet, daß der Mensch klug ist und
wir nicht." Da aber fiel der Blick des Krebses auf mich und er fragte:
"Soll man sich seines nackten Körpers schämen? Du bist ein Mensch,
antworte uns." -"Ich bin ein Mensch, und ich gebe euch zur Antwort:
niemand soll sich seines nackten Körpers schämen."
Michajlov ging durch den Sommergarten,
eine Hängematte unter dem Arm.
Er suchte lange, wo er die Hängematte aufhängen könnte. Doch überall
störten ihn die lästigen Wärter. Michajlov überlegte es sich anders
und setzte sich auf eine Bank.
Auf der Bank lag eine von jemandem liegen gelassene Zeitung.
Lag eine von jemandem liegengelassene Zeitung.
Lag eine von jemandem liegengelassene Zeitung.
Michajlov setzte sich auf diese Zeitung
Und überlegte schnell weiter.
Und überlegte schnell weiter.
Rehabilitierung
Ohne angeben zu wollen, kann ich sagen,
daß ich Volodja, als er mir
eine aufs Ohr gehauen und mir ins Gesicht gespuckt hatte, so erwischt
habe, daß er es nie vergessen wird. Erst danach habe ich ihm den
Primuskocher drübergehauen, und mit dem Bügeleisen habe ich ihn erst
gegen Abend geschlagen. So daß er also keineswegs gleich tot war. Daß
ich ihm das Bein dann am Tage abgeschnitten habe, ist kein Beweis. Zu
der Zeit hat er noch gelebt. Und Andrjuscha habe ich einfach aus
Trägheit erschlagen, das kann ich mir nicht zum Vorwurf machen. Warum
sind Andrjuscha und Elisaveta Antonovna mir in die Hände gefallen? Sie
hätten nicht plötzlich hinter der Tür hervorspringen dürfen.
Blutrünstigkeit wirft man mir vor, man sagt, ich hätte Blut getrunken,
aber das ist nicht wahr, ich habe die Blutlachen und Blutflecken
aufgeleckt; es ist ein natürliches Bedürfnis des Menschen, die Spuren
seines auch noch so geringen Verbrechens zu beseitigen. Auch habe ich
Elisaveta Antonovna nicht vergewaltigt. Erstens war sie keine Jungfrau
mehr, und zweitens hatte ich mit der Leiche zu tun und keine Zeit, sie
zu trösten. Und daß sie kurz vor der Niederkunft stand? Ich habe das
Kind doch rausgezogen. Und daß es überhaupt kein Erdenbewohner war,
das ist nun mal nicht meine Schuld. Ich habe ihm den Kopf nicht
abgerissen, schuld war der dünne Hals. Es war für dieses Leben nicht
geschaffen. Es ist wahr, daß ich ihr Hündchen mit dem Stiefel in den
Erdboden gestampft habe. Aber es ist schon Zynismus, mich der
Tierquälerei zu besichtigen, wenn dicht daneben, kann man sagen, drei
Menschenleben vernichtet wurden. Das Kind nicht mitgezählt. Also
schön: in alledem (und dem kann ich zustimmen) möge man eine gewisse
Brutalität meinerseits erkennen. Aber mir als Verbrechen anzurechenen,
daß ich mich auf meine Opfer gesetzt und meine Notdurft verrichtet
habe, - Sie müssen schon entschuldigen, das ist einfach absurd. Sich
entleeren ist ein natürliches Bedürfnis, folglich durchaus kein
verbrecherisches. Weshalb ich die Besorgnis meines Verteidigers zwar
verstehe, aber dennoch auf meinen Freispruch hoffe.
Ich wirbelte Staub auf.
Kinder liefen mir nach und rissen sich die
Kleider vom Leib. Alte Männer und Frauen fielen von den Dächern. Ich
pfiff, ich polterte, ich klapperte mit den Zähnen und stieß mit meiner
Eisenstange auf. Die abgerissenen Kinder stürzten mir nachund brachen
sich, weil sie nicht schnell genug waren, in der rasenden Eile die
zarten Beine. Alte Männer und Frauen sprangen um mich herum. Ich
stürmte vorwärts! Die schmutzigen rachitischen Kinder, die aussahen
wie Mistblätterpilze, verhedderten sich zwischen meinen Füßen. Das
Laufen wurde mir schwer. Ich stolperte jeden Augenblick und wäre
einmal beinahe in den weichen Brei der sich am Boden wälzenden und
zappelnden alten Männer und Frauen gefallen. Ich sprang auf, riß
einigen Mistblätterpilzen die Köpfe ab und trat einer dürren alten
Frau auf den Bauch, die laut knirschte und leise hervorstieß: "Das ist
das Ende!" Ohne mich umzusehen, lief ich weiter. Jetzt hatte ich unter
meinen Füßen sauberes und ebenes Straßenpflaster. Einzelne Laternen
leuchteten mir den Weg. Ich kam an das Schwitzbad. Das einladende
Licht des Schwitzbads blinzelte mir zu, und der bahagliche, aber
stickige Dampf des Schwitzbads kroch mir in Nase, Ohren und Mund. Ohne
mich auszuziehen, lief ich durch den Vorraum, dann vorbei an Hähnen,
Kübeln und Pritschen direkt zur Liegebank. Eine glühend weiße Wolke
umgab mich. Ich hörte ein schwaches, aber anhaltendes Klingeln.
Anscheinend liege ich.
Theaterstück
SCHASCHKIN in der Bühnenmitte stehend:
Meine Frau ist mir weggelaufen.
Tja, was soll man da machen? Wenn sie
weggelaufen ist, dann ist sie eben weg, da holt sie dir keiner zurück.
Man muß Philosoph sein und alles, was auch passiert, weise sehen.
Glücklich der Mensch, der im Besitze von Weisheit ist. Kurow, der ist es
nicht, aber ich. Ich habe in der ăffentlichen Bibliothek zweimal ein Buch
gelesen. Wie klug dort von allem geschrieben stand!
Ich habe für alles Interesse, sogar für Sprachen. Ich weiß, wie man
französisch zählt und wie man deutsch Bauch sagt. Där magen. Jawohl!
Mit mir ist sogar Maler Koslow befreundet. Wir trinken zusammen Bier.
Aber Kurow? Kurow kann nicht mal auf die Uhr sehen. Und die Nase
schnaubt er sich durch die Finger, und Fisch ißt er mit der Gabel,
außerdem schläft er in Stiefeln und putzt sich nicht die Zähne. Pfui
Deibel! Na ja, ein Bauer. Geh auf eine Gesellschaft mit dem, und du
fliegst raus und kriegst auch noch Dreck an den Kopf, so als wie -
komm uns mit keinem Bauern, wo du selber Intelligenzler bist!
Von der deutschen Sprache weiß ich wohl eigentlich noch zu wenig.
Obwohl ich: Bauch - där magen weiß. Aber würde zu mir einer sagen:
"Där magen findel mun" - da wüßte ich schon nicht mehr was das
bedeutet. Aber Kurow weiß nicht mal "där magen". Und mit so einem
Dummen ist sie weggelaufen! Das ist es also, was sie wollte! Ich bin
nämlich in ihren Augen kein Mann. "Du hast", sagt sie, "eine
Weiberstimme." Dabei habe ich gar keine Weiberstimme, sondern eine wie
ein Kind. Eine zarte wie ein Kind und überhaupt keine Weiberstimme!
Dumme Gans! Was sie an dem Kurow bloß hat? Maler Koslow sagt, vor mir
kann man sich hinsetzen und ein Bild malen.
Anekdoten aus Puschkins Leben
1
Puschkin war ein Dichter
und hat immer irgendwas geschrieben. Einmal
überraschte ihn Shukowski beim Schreiben und rief: "Du bist ja
überhaupt kein Schreiber!"
Da schloß Puschkin Shukowski ins Herz und nannte ihn
freundschaftshalber nur noch Shukowoi (der Käferartige).
2
Puschkin ist bekanntlich nie ein Bart gewachsen. Er litt darunter
sehr und beneidete Sacharjin, dem im Gegensatz zu ihm der Bart
anständig wuchs. "Bei ihm wächst er, und bei mir wächst er nicht",
sagte Puschkin so manches Mal und zeigte mit dem Fingernagel auf
Sacharjin. Und er hatte jedesmal recht.
3
Eines Tages ging Petruschewskis Uhr kaputt, und Petruschewski
schickte nach Puschkin. Puschkin kam, sah sich Petruschewskis Uhr an
und legte sie auf den Stuhl zurück. "Was sagst du dazu, mein lieber
Puschkin?" fragte Petruschewski. "Maschin kaputt", sagte Puschkin.
4
Als Puschkin sch die Beine gebrochen hatte, nahm er, um sich
fortzubewegen, ein Brett mit Rädern zu Hilfe. Seine Freunde, die ihn
gern neckten, griffen ihm in die Räder. Darüber ärgerte sich Puschkin,
und er schrieb Schmähgedichte auf seine Freunde. Diese Gedichte nannte
er "Epigramme".
5
Den Sommer 1829 verbrachte Puschkin auf dem Lande. Er stand früh
auf, trank eine Kanne frisch gemolkene Milch und lief zum Fluß baden.
Nach dem Mittagessen schlief Puschkin in der Hängematte weiter.
Begegneten ihm stinkende Bauern, so nickte Puschkin zum Gruß und hielt
sich dabei mit den Fingern die Nase zu. Die stinkenden Bauern zogen
die Mütze und sagten: "Macht doch nix."
6
Puschkin warf gern mit Steinen. Sowie er irgendwo Steine sah, legte
er damit los. Manchmal geriet er derart in Fahrt, daß er dastand, rot
angelaufen, die Arme schwenkte und mit Steinen warf, einfach schlimm!
7
Puschkin hatte vier Söhne, und alle waren Kretins. Der eine konnte
nicht mal auf dem Stuhl sitzen, er fiel dauernd herunter. Puschkin
aber konnte auch nicht richtig auf dem Stuhl sitzen. Man hätte sich
manchmal ausschütten können: Alle sitzen am Tisch, und am einen Ende
fällt dauernd Puschkin vom Stuhl und am andern Ende sein Sohn. Es war
schon nicht mehr feierlich!
Unversehenes Besäufnis
Eines Tages schlug Antonia Alexejewna
ihren Mann mit dem Dienststempel
und schmierte ihm dabei Stempelfarbe an die Stirn.
Der schwer gekränkte Pjotr Leonidowitsch, Antonina Alexejewnas Mann,
schloß sich im Badezimmer ein und machte niemandem auf.
Die Mieter der Gemeinschaftswohnung hatten aber ein starkes Bedürfnis,
dorthin zu gelangen, wo Pjotr Leonidowitsch saß, und beschlossen, die
Tür aufzubrechen.
Pjotr Leonidowitsch sah, daß seine Sache verloren war, kam aus dem
Badezimmer heraus, ging in sein Zimmer und legte sich aufs Bett.
Aber Antonina Alexejewna trieb es, ihren Mann weiter zu verfolgen. Sie
riß Papier in kleine Schnipsel und bestreute damit den auf dem Bett
liegenden Pjotr Leonidowitsch.
Wutschnaubend stürzte Pjotr Leonidowitsch in den Korridor und riß dort
die Tapete von den Wänden.
Da eilten die Mieter herbei, und als sie den unglücklichen Pjotre
Leonidowitsch bei seinem Treiben sahen, fielen sie über ihn her und
zerfetzten ihm die Weste.
Pjotr Leonidowitsch lief zur Verwaltung der Wohnungsgenossenschaft.
Unterdessen zog sich Antonina Alexejewna nackt aus und versteckte sich
in der Truhe.
Nach zehn Minuten kam Pjotr Leonidowitsch wieder und brachte den
Hausverwalter mit.
Da sie die Hausfrau nicht finden konnten, beschlossen der
Hausverwalter und Pjotr Leonidowitsch, die Gelegenheit der freien
Räumlichkeiten wahrzunehmen und Wodka zu trinken.
Pjotr Leonidiwitsch machte sich auf die Beine, dieses Getränk an der
Ecke zu holen.
Als Pjotr Leonidowitsch gegangen war, stieg Antonia Alexejewna aus der
Truhe und stellte sich dem Hausverwalter nackt zur Schau.
Erschüttert sprang der Hausverwalter vom Stuhl auf und flüchtete zum
Fenster, aber als er die mächtige Statur der jungen
sechsundzwanzigjährigen Frau sah, ergriff ihn ein wildes Entzücken.
Da kam Pjotr Leonidowitsch mit einem Liter Wodka wieder.
Angesichts dessen, was sich in seinem Zimmer tat, runzelte Pjotr
Leonidowitsch die Stirn.
Aber seine Frau Antonina Alexejewna zeigte ihm den Dienststempel, und
er beruhigte sich wieder.
Antonina Alexejewna äußerte den Wunsch, an dem Besäufnis teilzunehmen,
allerdings nur nackt und noch dazu auf dem Tisch sitzend, auf dem der
Imbiß zum Wodka angeboten werden sollte.
Die Männer setzten sich auf Stühle, Antonina Alexejewna setzte sich
auf den Tisch, und das Besäufnis begann.
Hygienisch kann man das nicht nennen, wenn eine nackte junge Frau auf
dem Tisch sitzt, an dem gegessen wird. Obendrein aber war Antonina
Alexejewna eine Frau von recht üppiger Statur und nicht besonders
reinlich, so daß es überhaupt ein starkes Stück war.
Bald aber waren alle betrunken und schliefen ein: die Männer auf dem
Fußboden und Antonina Alexejewna auf dem Tisch.
Und in die Gemeinschaftswohnung zog Stille ein.
22. Januar 1935
Macht
Faol sagte: "Blindlings begehen wir Sünden
oder tun Gutes. Ein Advokat
fuhr mit einem Fahrrad, und als er zur Kasan-Kathedrale kam, war er
plötzlich verschwunden. Ob er gewußt hatte, was zu tun ihm beschieden
war: Gutes oder Böses? Oder dieser Fall: Ein Schauspieler kaufte sich
einen Pelz und tat damit, könnte man sagen, der alten Frau, die diesen
Pelz aus Not verkaufte, Gutes, einer anderen alten Frau dagegen,
nämlich seiner eigenen Mutter, die bei ihm wohnte und meistens im Flur
schlief, wohin er seinen neuen Pelz hängte, tat er damit offenbar
Böses, denn der neue Pelz roch so unerträglich nach Formalin oder
Naphtalin, daß die alte Frau, die Mutter des Schauspielers, eines
Tages nicht mehr aufwachen konnte und starb. Oder das: Ein Graphologe
hatte sich mit Wodka vollaufen lassen und tat etwas, von dem wohl
nicht einmal Feldmarschall Diebitsch hätte sagen können, ob es gut war
oder schlecht. Das Böse ist sehr schwer vom Guten zu unterscheiden."
Myschin dachte über Faols Worte nach und fiel vom Stuhl. "Ho-ho", sagte er, auf dem Fußboden liegend, "tschä-tschä."
Faol fuhr fort: "Nehmen wir die Liebe. Gewissermaßen ist sie gut,
gewissermaßen auch wieder schlecht. Einerseits steht geschrieben:
liebe, andererseits: sei nicht übermütig. Vielleicht am besten
überhaupt nicht lieben? Aber geschrieben steht: du sollst lieben. Und
liebst du - bist du übermütig. Was tun? Lieben, nur nicht so? Aber
warum wird bei allen Völkern das eine wie das andere Lieben mit ein
und demselben Wort ausgedrückt? Da liebte nun ein Schauspieler sowohl
seine Mutter als auch ein hübsches molliges Fräulein. Doch er liebte
sie verschieden. Dem Fräulein gab er einen großen Teil seines Gehalts.
Die Mutter mußte oft hungern, das Fräulein aß und trank für drei. Die
Mutter wohnte im Flur und schlief auf dem Fußboden, das Fräulein
verfügte über zwei schöne Zimmer. Das Fräulein besaß vier Mäntel, die
Mutter einen. Den einen nahm der Schauspieler ihr auch noch weg und
ließ daraus einen Rock für das Fräulein machen. Und endlich: mit dem
Fräulein war der Schauspieler übermütig, mit der Mutter nicht, die
liebte er reinen Herzens. Den Tod der Mutter fürchtete der
Schauspieler, den Tod des Fräuleins nicht. Als die Mutter starb,
weinte der Schauspieler, als aber das Fräulein aus dem Fenster fiel
und ebenfalls starb, weinte der Schauspieler nicht, sondern schaffte
sich ein anderes Fräulein an. Folglich wird die Mutter als Unikat
geschätzt, wie eine seltene, unersetzliche Briefmarke."
"Scho-scho", sagte Myschin, auf dem Fußboden liegend. "Ho-ho."
Faol fuhr fort: "Und das nennt sich reine Liebe! Ist solche Liebe gut?
Wenn nicht, wie soll man dann lieben? Eine Mutter liebte ihr Kind.
Dieses Kind war zweieinhalb Jahre alt. Die Mutter trug es in den Park
und setzte es in den Sand. Auch andere Mütter brachten ihre Kinder
dorthin. Manchmal sammelten sich im Sand bis zu vierzig Kinder. Eines
Tages strolchte ein tollwütiger Hund durch den Park, überfiel die
Kinder und begann sie zu beißen. Schreiend stürzten die Mütter zu
ihren Kindern, auch unsere Mutter. Aufopferungsvoll sprang sie auf den
Hund los und entriß ihm, wie sie annahm, ihr Kind. Entriß es ihm und
sah, daß es nicht ihr Kind war, und da warf sie es dem Hund wieder
hin, um ihr Kind, das daneben lag, an sich zu reißen und vor dem Tode
zu retten. Wer kann mir die Frage beantworten: Hat sie Gutes oder
Böses getan?"
"Schü-schü", sagte Myschin und drehte sich auf den Bauch.
Faol fuhr fort: "Begeht der Stein Sünden? Begeht der Baum Sünden?
Begeht das Tier Sünden? Oder begeht Sünden allein der Mensch?"
"Mlam-mlam", sagte Myschin, Faol lauschend. "Schup-schup."
Faol fuhr fort: "Wenn nur der Mensch Sünden begeht, heißt das, alle
Sünden der Welt befinden sich allein beim Menschen. Die Sünde dringt
nicht in den Menschen ein, kommt aber aus ihm heraus. Das ist so
ähnlich wie mit der Nahrung: der Mensch nimmt Gutes zu sich und gibt
nur Schlechtes von sich. Es gibt nichts Schlechtes auf der Welt; nur
das, was durch den Menschen gegangen ist, kann zu etwas Schlechtem
werden."
"Klugscher", sagte Myschin und versuchte vom Fußboden aufzustehen.
Faol fuhr fort: "Nun habe ich von der Liebe gesprochen, von unseren
Zuständen, die mit dem Wort 'Liebe' bezeichnet werden. Ein Irrtum der
Sprache? Oder sind all diese Zustände ein und dasselbe? Die Liebe der
Mutter zum Kind, die Liebe des Sohnes zur Mutter und die Liebe des
Mannes zur Frau, ist das nicht vielleicht ein und dieselbe Liebe?"
"Bestimmt", sagte Myschin und nickte.
Faol sagte: "Ja, ich denke, das Wesen der Liebe ist unveränderlich,
egal, wer wen liebt. Jedem Menschen wurde ein bestimmtes Quantum Liebe
zugeteilt. Und jeder Mensch trachtet danach, es möglichst verlustlos
anzulegen. Die Geheimnisse der Permutationen und kleinen Eigenschaften
unserer Seele zu entdecken, die gleich einem Haufen Sägespäne..."
"Ex-bex!" rief Myschin und sprang vom Fußboden auf. "Hau ab!"
Und Faol fiel auseinander wie schlechter Zucker.
29. September 1940
I. Sommer 1933
Es gibt Klänge, ziemlich laute sogar,
die sich nur wenig von der
Stille unterscheiden. So zum Beispiel habe ich bemerkt, daß ich von
unserer Türklingel nicht aufwache. Wenn ich im Bett liege, so
unterscheidet sich der Klang der Klingel nur wenig von der Stille. Das
geschieht deshalb, weil er Ähnlichkeit hat mit einer langgestreckten,
wurstartigen Form, wie sie das zusammengerollte Ende der Bettdecke
hat, das an meinem Ohr liegt. Alle Dinge um mich herum legen sich in
bestimmten Formen. Aber einige Formen fehlen. So zum Beispiel fehlen
die Formen jener Laute, die Kinder mit ihrem Geschrei und beim Spielen
ausstoßen. Deshalb mag ich keine Kinder.
II. Erster Oktober 1933
Kindern schenken soll man Klingeldraht, Bindfaden und Stöcke.
III. Herbst 1933
Kinder quälen ist grausam. Aber irgendetwas muß man doch mit ihnen
machen!
IV. Herbst 1933
Ich mag keine Kinder, keine alten Männer, keine alten Frauen und keine
vernünftigen älteren Menschen.
V. Juli 1935
Eines der Grundprinzipien, denen zufolge sich die Wege der Menschen
trennen, ist die Leidenschaft für magere oder füllige Frauen.
Gut wäre, man würde in öffentlichen Parks kleine Alleen für stille
Spaziergänge anlegen, mit zweisitzigen Bänken in einem Abstand von 2
Metern voneinander entfernt, wobei man zwischen den Bänken dichte
Büsche pflanzen müßte, damit derjenige auf der einen Bank nicht sieht,
was auf der anderen geschieht. Auf diesen Alleen sollen folgende
Regeln gelten :
1) Der Zutritt zu diesen Alleen ist für Kinder verboten, sowohl allein
als auch in Begleitung der Eltern. 2) Verboten ist jeglicher Lärm und
lautes Reden. 3) Sich zu einem Mann auf die Bank zu setzen ist nur
eine Frau berechtigt, zu einer Frau nur ein Mann. 4) Wenn der auf der
Bank Sitzende neben sich auf den freien Sitzplatz die Hand oder
irgendeinen Gegenstand legt, ist sich zu setzen verboten.
Gleichfalls anlegen müßte man Alleen für einsame Spaziergänge, mit
Sesseln für nur eine Person. Zwischen den Sesseln Büsche. Zutritt für
Kinder verboten, ebenso Lärm und lautes Reden.
Hübsche Frauen gehen nicht in Parks spazieren.
VI. Zwölfter November 1935
Sonett
Mir ist einmal etwas ganz Eigenartiges passiert : Ich hatte auf einmal
vergessen, was eher kommt -- sieben oder acht.
Ich ging zu den Nachbarn und fragte, was sie meinten.
Aber wie groß war meine Verwunderung, als sich plötzlich
herausstellte, daß auch sie die Reihenfolge der Zahlen vergessen
hatten. 1, 2, 3, 4, 5 und 6 wußten sie noch, aber wie weiter, hatten
sie vergessen.
Wir gingen zusammen zum Kaufhaus "Gastronom" in der Snamenskaja,
Ecke Bassejnaja, und fragten die Kassiererin. Die Kassiererin lächelte
traurig, nahm ein kleines Hämmerlein aus dem Mund, zog die Luft durch
die Nase ein und sagte: "Meines Erachtens kommt sieben in dem Fall
nach acht, wenn acht nach sieben kommt."
Erfreut bedankten wir uns bei der Kassiererin und liefen hinaus. Doch
plötzlich, als wir uns die Auskunft der Kassiererin genauer
überlegten, verstummten wir wieder, denn sie kam uns völlig sinnlos
vor.
Was tun? Wir gingen in den Sommergarten und fingen an, die Bäume zu
zählen. Doch als wir bei sechs angelangt waren, blieben wir stehen und
gerieten in Streit. Nach Ansicht der einen folgte sieben, nach Ansicht
der anderen acht.
Wir würden noch lange gestritten haben, aber zum Glück fiel ein Kind
von der Bank und brach sich beide Kiefer. Das brachte uns von unserem
Streit ab.
Da trennten wir uns und gingen nach Hause
VII. 1936
Aufsatz Leitartikel
Recht hatte der Kaiser Alexander Vilberdat, der in den Städten einen
eigenen Platz für Kinder und deren Mütter abgrenzte, an dem sich diese
aufzuhalten hatten. Schwangere Weiber wurden ebenfalls dorthingesetzt,
hinter den Zaun, und kränkten fortan nicht mehr mit ihrem widerlichen
Anblick die Augen der friedlichen Bevölkerung.
Der große Kaiser Alexander Vilberdat verstand das Wesen von Kindern
nicht weniger als der flämische Maler Ternis, er wußte, daß Kinder,
bestenfalls, grausame und launische Greise sind. Zuneigung zu Kindern
ist fast dasselbe wie Zuneigung zu Embryos, und Zuneigung zu Embryos
ist fast dasselbe wie Zuneigung zu Exkrementen.
Es ist unvernünftig sich zu brüsten : "Ich bin ein guter Mensch, weil
ich Embryos liebe oder weil ich mich gern entleere." Ebenso
unvernünftig ist sich zu brüsten : "Ich bin ein guter Mensch, weil
ich Kinder liebe."
Den großen Kaiser Alexander Vilberdat ergriff beim Anblick eines
Kindes augenblicklich der Brechreiz, aber das hat ihn nicht im
mindesten daran gehindert, ein guter Mensch zu sein.
Ich kannte eine Dame, die immer wieder sagte, sie sei einverstanden im
Pferdestall zu übernachten, im Stall bei den Schweinen, im Fuchsbau,
wo auch immer -- nur nicht dort, wo es nach Kindern riecht. Und in der
Tat, das ist der ekelhafteste Geruch, ich würde sogar sagen : der
beleidigendste.
Für einen erwachsenen Menschen ist die Anwesenheit von Kindern
beleidigend. Und so galt, zu Zeiten des großen Kaisers Alexander
Vilberdat, einem erwachsenen Menschen ein Kind zu zeigen als höchste
Beleidigung. Das wurde für schlimmer angesehen, als einem Menschen ins
Gesicht zu spucken und ihm dabei sagen wir, auch noch ins Nasenloch zu
treffen. Für die "Beleidigung mit einem Kind" wurden blutige Duelle
ausgefochten.
VIII. Dreizehnter November 1937
Ich gehe zur Sitzung der Sektion Kinderliteratur. Ich bin überzeugt,
daß man mir Hilfe verweigern und mich aus dem Verband werfen wird.
IX. Zwölfter Oktober 1938
Ich werde Kapuzineraffe genannt. Dafür werde ich jedem, wie er's
verdient, die Ohren abreißen, aber einstweilen läßt mir der Ruhm von
Jean-Jacques Rousseau keine Ruhe. Warum hat Rousseau alles gewußt ?
Wie man Kinder windelt und wie man Fräuleins verheiratet ! So gut
möchte ich auch alles wissen. Ich weiß zwar schon alles, nur bin ich
mir meines Wissens nicht sicher. Was Kinder angeht, so weiß ich genau,
daß man sie nicht windeln, sondern vernichten sollte. Zu diesem Zweck würde ich in der Stadt eine
Zentralgrube ausheben und die Kinder in diese Grube hineinwerfen.
Damit aus der Grube kein Verwesungsgestank dringt, könnte man einmal
die Woche ungelöschten Kalk drüberschütten. Auch alle Deutschen
Schäferhunde würde ich in diese Grube stoßen. Und nun, wie man
Fräuleins verheiratet. Das ist meines Erachtens noch einfacher. Ich
würde einen öffentlichen Saal einrichten, wo sich die ganze Jugend,
sagen wir einmal im Monat, trifft. Alle im Alter von siebzehn bis
fünfunddreißig ziehen sich nackt aus und gehen im Saal auf und ab.
Wenn zwei sich gefallen, treten sie zusammen in eine Ecke und
betrachten sich dort nun schon näher. Ich vergaß zu sagen, daß jeder
ein Schild mit seinem Vornamen, Nachnamen und seiner Adresse um den
Hals tragen muß. So kann man dann dem, an dem man Geschmack gefunden
hat, schreiben, um engere Bekanntschaft zu knüpfen. Wenn sich in diese
Angelegenheiten ein alter Mann oder eine alte Frau einmischt, empfehle
ich, sie mit der Axt zu erschlagen und dorthin zu schaffen, wohin auch
die Kinder gehören, in die Zentralgrube.
Gern würde ich das in mir ruhende Wissen weiter darlegen, aber leider
muß ich Machorka kaufen. Wenn ich auf die Straße gehe, habe ich immer
einen dicken knorrigen Stock bei mir. Ich nehme ihn mit, um die
Kinder, die mir vor die Füße geraten, zu verprügeln. Womöglich werde
ich deshalb Kapuzineraffe genannt ? Aber wartet, verdammte Bande, ich
reiße euch die Ohren ab !
X. Ende Mai / Anfang Juni 1939
Draußen das verdammte Geschrei der Kinder. Ich liege und male mir
Strafen für Kinder aus. Am besten gefällt mir, ihnen einen Starrkrampf
anhexen, daß sie sich mit einem Schlag nicht mehr rühren können. Die
Eltern tragen sie nach Hause. Sie liegen in ihren Bettchen und können
nicht mal mehr essen, weil sie den Mund nicht aufbekommen. Sie werden
künstlich ernährt. Nach einer Woche hört der Starrkrampf auf, doch die
Kinder sind so matt, daß sie noch einen ganzen Monat im Bett bleiben
müssen. Dann genesen sie nach und nach, aber ich hexe ihnen einen
zweiten Starrkrampf an, und da verrecken sie alle.
XI. Ende Mai / Anfang Juni 1939
"Was halten Sie von Leichen?" frage ich Sakerdon Michailowitsch.
"Nichts", sagt Sakerdon Michailowitsch. "Mir graut vor ihnen."
"Ja, ich kann Leichen auch nicht ausstehen", sage ich. "Käme mir
eine Leiche unter, ohne eine Verwandte von mir zu sein, ich würde ihr
einen Fußtritt geben."
"Tote darf man nicht treten", sagt Sakerdon Michailowitsch.
"Ich würde ihr mit dem Stiefel ins Gesicht treten", sage ich.
"Leichen und Kinder kann ich nicht ausstehen."
"Ja, Kinder sind scheußlich", bestätigt Sakerdon Michailowitsch.
"Doch was ist Ihrer Meinung nach schlimmer : Leichen oder Kinder ?"
frage ich.
"Kinder wahrscheinlich, sie stören uns öfter. Leichen platzen
wenigstens nicht in unser Leben herein", sagt Sakerdon
Michailowitsch.
Makarov und Petersen (no. 3)
Makarov:
In diesem Buch hier ist alles über unsere Wünsche und deren Erfüllung geschrieben. Lies dieses Buch, und du wirst verstehen, wie nichtig unsere Wünsche sind. Du wirst auch verstehen, wie leicht es ist, einem anderen einen Wunsch zu erfüllen, und wie schwer es ist, sich selbst einen Wunsch zu erfüllen.
Petersen:
Du hast es, nicht wahr, sehr feierlich gesagt. Die Indianerhäuptlinge sprächen mal so.
Makarov:
Das ist ein solches Buch, davon man nur Erhabenes sprechen kann. Wenn ich nur daran denke, nehme ich meinen Hut ab.
Petersen:
Wäschest du auch die Hände, bevor du es berührst?
Makarov:
Ja, die Hände soll man auch waschen.
Petersen:
Dann wüschest du auch mal die Füsse, um an der sicheren Seite zu sein.
Makarov:
Das war nicht witzig und grob.
Petersen:
Was ist es nur für ein Buch?
Makarov:
Der Titel des Buches ist geheimnisvoll...
Petersen:
Ha-ha-ha!
Makarov:
Dieses Buch ist genannt MALGIL.
Petersen verschwindet.
Makarov:
O Gott! Was ist denn das? Petersen!
Petersens Stimme:
Was ist passiert? Makarov! Wo bin ich?
Makarov:
Wo bist du? Ich kann dich nicht sehen.
Petersens Stimme:
Und wo bist du denn? Ich kann dich auch nicht sehen!.. Was sind diese Sphären?
Makarov:
Was sollen wir tun? Petersen, kannst du mich hören?
Petersens Stimme:
Ich höre! Aber was ist denn passiert? Und was sind diese Sphären?
Makarov:
Kannst du dich bewegen?
Petersens Stimme:
Makarov! Siehst du diese Sphären?
Makarov:
Welche Sphären?
Petersens Stimme:
Laßt mich los!.. Laßt mich!.. Makarov!..
Stille. Makarov bleibt stehen in Erschrecken, dann greift das Buch und öffnet es.
Makarov (liest):
"Allmählich verliert der Mensch seine Gestalt und wird in eine
Sphäre verwandt. Und sobald er eine Sphäre wird, verliert er
alle seine Wünsche."
(Vorhang)
1934
"Andrej Semionowitsch spuckte..."
Andrej Semionowitsch spuckte in eine Tasse
voll Wasser. Das Wasser
verfärbte sich sofort schwarz. Andrej Semionowitsch guckte aufmerksam
in die Tasse: das Wasser war sehr schwarz. Dann fing Andrej
Semionowitsches Herz an, heftig zu schlagen.
Diesen Augenblick wachte Andrej Semionowitsches Hund auf. Andrei
Semionowitsch ging zu dem Fenster und grübelte.
Plötzlich schoss etwas grosses und dunkles an Andrej Semionowitsches
Kopf vorbei und flog durch das Fenster aus. Es war Andrej
Semionowitsches Hund, der wie eine Krähe auf das Dach des
gegenüberstehenden Gebäudes eilte. Andrej Semionowitsch hockte hin und
fing an zu heulen.
Dann rannte Genosse Papagaieff in den Raum herein.
"Was ist los mit dir? Bist du krank?" fragte Genosse Papagaieff.
Andrej Semionowitsch beruhigte sich und rieb das Gesicht mit den
Händen.
Genosse Papagaieff warf einen Blick an die Tasse, die auf dem Tisch
stand.
"Was hast du hier hineingegossen?" fragte er Andrej Semionowitsch.
"Ich weiß nicht", sagte Andrej Semionowitsch.
Genosse Papagaieff verschwand plötzlich. Und der Hund flog wieder
durch das Fenster hinein, legte sich auf seinen üblichen Platz und
schlief ein.
Andrej Semionowitsch ging zu dem Tisch und nahm ein Schluck von der
Tasse mit schwarzgefärbtem Wasser. Und das Innere von Andrej
Semionowitsch wurde zufrieden.