\chapter{Falsche Anwendung von Pestiziden \svenja} \quellex{GEO 07/2003 Mittelamerika: Leben mit dem Gift} \quellex{Folienserie des Fonds der Chemischen Industrie, Textheft 10; Pflanzenschutz; Hrsg. Fonds der chemischen Industrie zur Förderung der Chemie und biologischen Chemie im Verband der Chemischen Industrie, Karlstraße 21, 6000 Frankfurt/Main, November 1992; (ISSN 0174-366-X)} In Lateinamerika werden so viele Pestizide benutzt wie fast nirgendwo sonst auf der Erde. Denn das feucht-heiße Klima begünstigt nicht nur das Wachstum von Nutzpflanzen, sondern auch das Wachstum von Schädlingen, wie Insekten, Fadenwürmer, Milben, Schnecken, sowie Pilze und Viren. Da die Länder Lateinamerikas größtenteils sehr arm sind und Pestizide die billigste Möglichkeit sind, Schädlinge loszuwerden, kommt es hier zu einer überdosierten Anwendung. Außerdem gibt es in diesen armen Ländern fast keine Kontrollen und einige Pestizide, die in Europa oder Amerika wegen hier Schädlichkeit schon lange verboten sind, werden nach Lateinamerika verkauft und dort angewendet. \section{Worin besteht die falsche Anwendung?} \begin{figure}[ht] \centering \includegraphics[width=0.95\textwidth]{bilder/importe} \caption{Pestizid-Importe in Mittelamerika\newline GEO 07/2003 Mittelamerika: Leben mit dem Gift} \end{figure} \quellec[30]{GEO 07/2003 Mittelamerika: Leben mit dem Gift} \quellec[31]{Textheft zum Thema ``Pflanzenschutz'' von dem Fonds der Chemischen Industrie, November 1992} \quelle{http://www.banafair.de} \quelle{http://www1.evb.ch/p10127.html} Zu allererst besteht die falsche Anwendung darin, dass man sich in Lateinamerika nicht an die Dosierungen hält, frei nach dem Motto: ``Viel hilft viel''. Die lateinamerikanischen Länder sind Spitzenreiter was den Import von Pestiziden angeht. Oft werden Pestizide aus Amerika importiert, weil sie dort verboten sind oder nur stark eingeschränkt benutzt werden dürfen. Allein 1999 wurden 60 000 Tonnen Unkraut- und Schädlingsbekämpfungsmittel in die mittelamerikanischen Länder importiert und es werden jedes Jahr mehr. 2002 wurden in Costa Rica pro Hektar landwirtschaftlich genutzte Fläche durchschnittlich 18 Kilogramm Unkraut- und Schädlingsbekämpfungsmittel verbraucht, auf Bananenplantagen sind es sogar bis zu 40 Kilogramm pro Hektar! In Deutschland waren es unter drei Kilogramm. Außerdem werden die Pestizide meistens völlig falsch angewendet. Die Plantagenarbeiter, die sog. \G{campesinos}, sind den ganzen Tag von den giftigen Dämpfen der Pestizide umgeben. Sie tragen keinerlei Schutzkleidung. Obwohl die Mittel, die sie tagtäglich versprühen, von der Weltgesundheitsorganisation WHO als gefährlich eingestuft wurden. Normalerweise würde man solche Mittel nicht ohne Schutzkleidung, Gesichtsmasken und Waschmöglichkeiten anwenden. In Deutschland müssen Landwirte sogar durch Zertifikate oder Sachprüfungen Fachkenntnisse über Pestizide aufweisen können. Beim Umgang mit Pflanzenschutzmitteln müssen sich deutsche Landwirte streng an die Unfallverhütungsvorschriften der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft halten. Doch Schutzkleidung ist zu teuer und somit auf den Plantagen nicht vorhanden. Statt Schutzkleidung tragen sie gewöhnliche Kleidung: T-Shirts und kurze Hosen. Die Pestizide werden mit bloßen Händen von den Arbeitern angerührt. Dass die Pestizide ihre bloße Haut reizen, merken sie schon lange nicht mehr. Dann werden die Pestizide in Kanister gefüllt und auf die Felder gesprüht. Viele der Kanister lecken, das giftige Mittel läuft über den Rücken und die Arme der Arbeiter. \begin{figure}[ht] \centering \includegraphics[width=\textwidth]{bilder/kontakt} \caption{Die \emph{campesinos} haben ständig direkten Kontakt mit den Pestiziden. \newline GEO 07/2003 Mittelamerika: Leben mit dem Gift} \end{figure} Mehrmals täglich fliegt ein Sprühflugzeug über die Felder hinweg und versprüht giftige Pestizide. Dabei ist es egal, dass Arbeiter mitten auf den Feldern stehen; sie bekomme eine Pestizid-Dusche nach der anderen ab. Und wäre das nicht schon schlimm genug, ist sauberes Wasser auch noch Mangelware. Statt sich die Hände mehrmals gründlich zu waschen, werden sie einfach an der Hose abgetrocknet. Nicht mal vor dem Essen werden die Hände gewaschen. Die Arbeiter sind den ganzen Tag in Kontakt mit den Pestiziden, aber geduscht wird höchstens einmal pro Tag nach der Arbeit, wenn überhaupt. Wasser ist nun mal zu teuer. \begin{figure}[h] \centering \includegraphics[width=\textwidth]{bilder/flugzeug} \caption{Das Sprühflugzeug versprüht die giftigen Pestizide, egal ob noch ein Arbeiter auf Feld ist. GEO 07/2003 Mittelamerika: Leben mit dem Gift} \end{figure} Des Weiteren werden die Pestizide nicht nur auf den Feldern gebraucht. Die Pestizide sind in das Leben der \emph{campesinos} fest integriert. Die leeren Kanister werden nicht ordnungsgemäß entsorgt, sondern oft als Wasserkanister gebraucht. Die Pestizide werden auch im Haushalt genutzt und zwar nicht nur zur Schädlingsbekämpfung im Haus oder im Garten. Pestizide wirken gegen Pilze und kleine Tierchen, so denkt die Landbevölkerung. Also werden die Schädlingsbekämpfungsmittel schon mal gegen die Kopfläuse der Kinder oder gegen Pilzerkrankungen am Penis benutzt. Aber nicht nur als Haushaltsmittel werden die Pflanzenschutzmittel gebraucht, sondern auch zur Nahrungsbeschaffung. Die Plantagenarbeiter nehmen sich Pestizide von der Arbeit mit nach Hause -- das geht dort ohne weiteres -- und benutzen sie, um Fische zu fangen. Sie kippen einfach ein bisschen was von dem Mittel in Teiche und töten so die Fische, die darin leben. Danach werden die Fische zubereitet und die Arbeiter und ihre Familien nehmen die giftigen Pestizide durch die Nahrung auf. \section{Die Folgen der falschen Anwendung} \quellec[30]{GEO 07/2003 Mittelamerika: Leben mit dem Gift} \quelle{http://www.pan-germany.org} \quelle{http://www.greenpeace.de} Die falsche und überdosierte Anwendung von Pestiziden hat große Auswirkungen auf die Lebensqualität der Plantagenarbeiter und ihrer Familien. Nach einem Tag auf dem Feld haben die Plantagenarbeiter meistens Kopfschmerzen, ihnen ist schwindelig und ihre Haut juckt. Aber sie halten das für normal, es gehört zu ihrer Arbeit. Akute Vergiftungen gehören hier zum Alltag. Es gibt viele Schätzungen über die Anzahl, doch genau sagen kann es keiner, denn die medizinische Versorgung in den ländlichen Gegenden ist spärlich und meistens unterqualifiziert. Oder die Betroffenen suchen wegen Geldmangel gar nicht erst einen Arzt auf. 1990 schätze die WHO die Anzahl der weltweiten Vergiftungen durch Pestizide auf drei Millionen pro Jahr, mittlerweile liegen die Schätzungen bei 25 Millionen pro Jahr. Tendenz steigend. Wobei wiederum betont werden muss, dass diese Zahlen nur Schätzungen sind und in Wirklichkeit wahrscheinlich noch größer sind. Erschreckender Weise passierten diese Vergiftungen zu 70\% in Entwicklungsländern. Die Todesfälle durch Pestizide schätzte die WHO 1990 auf etwa 220.000! Ca. 20.000 der Fälle waren unbeabsichtigt, aber der Rest war beabsichtigt (Suizid). 99\% der Todesfälle traten in Entwicklungsländern auf. Immerhin ist eine Vergiftung durch Pestizide in Nicaragua die viert häufigste Todesursache! Die Symptome dieser akuten Vergiftungen sind in den meisten Fällen Hautausschläge, Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen, Schwindel, Seh- und Verdauungsstörungen sowie Atemlähmung, die zum Tod führen kann. Durch chronische Vergiftungen kommt es häufig zu motorischen Störungen, Depressionen und Gedächtnisstörungen bzw. Gedächtnisverlust. Außerdem leidet ein großer Teil der Plantagenarbeiter und ihrer Familien unter den Langzeitschäden, die der täglich Umgang mit Pestiziden mit sich bringt. Die meisten Pestizide sind nämlich krebserregend und erbgutschädigend. 2002 veröffentlichte das Cancer Registry of Central California die Ergebnisse ihrer Langzeitstudie an Beschäftigten in der Landwirtschaft. Die Untersuchten waren größtenteils Saisonarbeiter/innen mit hispanischer Abstammung. Die Ergebnisse waren wie folgt: ``Es erkrankten im Vergleich zur Kontrollgruppe 59 Prozent mehr Landarbeiter/innen an Leukämie, 63 Prozent mehr an Gebärmutterhalskrebs bzw. 68 Prozent mehr an Gebärmutterkrebs und 69 Prozent mehr an Magenkrebs.'' Außerdem haben viele der Plantagenarbeiter Hodenkrebs. Viele der \emph{campesinos} sind deshalb steril. Bei den Plantagenarbeiterinnen kommt es oft zu Fehl- oder Totgeburten. Des Weiteren ist die Zahl der Kinder mit Geburtsfehlern sehr hoch. Viele der Kinder von Plantagenarbeitern haben starke geistige und/oder körperliche Behinderungen. \section{Der Fall ``Nemagon''} \label{sec:nemagon} \quellec[30]{GEO 07/2003 Mittelamerika: Leben mit dem Gift} \quellec[32]{http://www.banafair.de} \quelle{http://www.oneworld.at} Wie stark sich der falsche und übermäßige Gebrauch von Pestiziden auf die Lebensqualität der Plantagenarbeiter auswirkt, zeigt der Fall ``Nemagon''. Dibromchlorpropan (\G{DBCP}) ist ein Wurmgift, das zwischen 1960 bis 1980 auf Bananenplantagen versprüht wurde. Sein Handelsname ist Nemagon. \begin{figure}[hb] \centering \includegraphics[width=2.5cm]{formeln/dbcp} \caption{Strukturformel von DBCP} \end{figure} Im Herbst 1977 wurde dann bewiesen, dass DBCP die Spermienproduktion der Hoden zerstört. Die Folge: Zusätzlich zu den oben genannten Beschwerden werden weltweit ca. 40.000 Plantagenarbeiter durch das Wurmgift unfruchtbar. Man schätzt, dass allein in Costa Rica 20.000 Männer betroffen sind, in Honduras sind es immer hin ca. 5.000 Männer. Und das in einer Gegend, in der Kinder das Lebensglück sind. \begin{figure} \centering \includegraphics[width=0.75\textwidth]{bilder/nemagon} \caption{Ein Nemagon-Opfer, http://www.oneworld.at} \end{figure} Kurz nachdem die Aufsichtsbehörde \G{EPA} den Wirkstoff im Sommer 1977 hatte sperren lassen, kam raus, dass die Konzerne Dow und Shell schon 1958 durch Tierversuche herausgefunden hatten, dass das DBCP steril macht und krebserregend ist. Die Konzerne hatten dies gegenüber der Aufsichtsbehörde EPA heruntergespielt und behauptet, dass die Ergebnisse nicht auf Menschen zutreffen würden. Aber nicht nur die Männer sind betroffen, viele Frauen, die mit DBCP in Berührung kamen, leiden unter Gebärmutterhalskrebs. Sie haben Totgeburten oder bringen geistig und/oder körperlich behinderte Kinder zur Welt. So kommt es, dass in einem kleinen Dorf in Costa Rica, namens Batáan, ca. 14\% der Kinder eine Sonderklasse besuchen müssen. Die \G{Epidemiologin} des Toxikologischen Instituts der Universidad Nacional (IRET) Catharina Wesseling fand während einer Studie heraus, dass das Krebsrisiko bei Leuten, die längere Zeit Kontakt mit dem Wurmgift hatten, stark erhöht ist: das Hodenkrebsrisiko ist um 70\%, das Hirn- und Lungenkrebsrisiko um 80\% größer. Immerhin zahlt die Regierung von Costa Rica, die mitverantwortlich an der Ne\-ma\-gon-Ka\-ta\-stro\-phe war, unfruchtbaren Männern und Frauen, die wegen DBCP an Gebärmutterhalskrebs erkrankten und/oder behinderte Kinder bekommen haben, Entschädigungen. Die Entschädigungen sind nicht hoch, gerade mal ca. 1.500 Euro pro Person, und die Zahlungen verlaufen bis jetzt eher schleppend, aber es ist ein Anfang. Aber in vielen anderen Ländern, in denen die Leute von der Nemagon-Katastrophe betroffen sind, sind die Regierungen nicht bereit, Entschädigungen zu zahlen. Aber nicht alle Plantagenarbeiter nehmen dies ohne weiteres hin. 1984 reichten die Ersten Sammelklagen gegen die Frucht- und Chemiekonzerne Dole, Shell Oil, Chiquita Brands International, Standard Fruit Company, Del Monte Tropical Fruit Company, Occidental Chemical Corporation, Dow Chemical und Aka del Monte Foods ein. Diese Firmen hatten das preisgünstige Wurmgift Ende der Fünfziger Jahre auf den Markt gebracht. Alle Firmen bis auf Dole bezahlten den Klägern Entschädigungen, um weiteren gerichtlichen Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen. Die Konzerne einigten sich auf anfangs 20, später auf 41 und 1999 dann auf 52 Millionen US-Dollar Entschädigung. Das klingt nach viel, aber durchschnittlich erhielt jeder Betroffene gerade mal 1.500 US-Dollar. Die Firmen betonen immer wieder, dass diese Entschädigungen keinerlei Schuldeingeständnis sind. 2001 wurde in Nicaragua dann das ``Gesetz 364'' verabschiedet. Es ist ein ``Sondergesetz für die Handhabung von Rechtsstreitigkeiten von Personen, welche durch die Nutzung von Pestiziden betroffen sind, die auf der Basis von DBCP produziert wurden''. Im selben Jahr reichten die zwei nicaraguanischen Anwälte Walter Gutiérrez und Angel Espinoza eine Sammelklage gegen die Plantagenbesitzer ein. ``Wir sind nicht auf außergerichtliche Einigung aus!'', versicherten sie immer wieder ihren Klienten. Und tatsächlich gelingt es den zwei ehrgeizigen Anwälten im Dezember 2002 eine Verurteilung der Konzerne Dow Chemical, Shell Oil und Standard Fruit zu erreichen. Ein nicaraguanischer Richter verurteilte sie aufgrund des ``Gesetzes 364'' dazu, die ersten 583 Kläger mit insgesamt 490 Millionen US-Dollar zu entschädigen. Das war ein großer Erfolg, doch die zwei Anwälte sind noch nicht fertig. Sie wollen so lange kämpfen, bis alle Betroffenen in Nicaragua entschädigt wurden. Aber die Zahlungen erfolgten bis heute nicht, weil die beklagten Konzerne das ``Gesetz 364'' nicht anerkennen und es für verfassungswidrig erklären. Im März 2005 begannen die betroffenen Plantagenarbeiter dann mit öffentlichen Streiks und Protesten. Im Sommer 2005 wurden die Streiks durch das Gerichtsurteil des nicaraguanischen Richters Socorro Toruno beendet. Er verurteilte die Firmen Standard Fruit Company, Dole Food, Dow Chemicals, Shell Oil und Occidental Chemical Corporation zu einer Kompensationszahlung von 97 Millionen US-Dollar an 150 ehemalige Arbeiter, die durch den Einsatz von Pestiziden unter bleibenden gesundheitlichen Schäden leiden. Folgendes Interview, das ein Mitarbeiter der Fair-Trade-Organisation BanaFair führte, zeigt deutlich, wie unwissend und hilflos die Plantagenarbeiter waren: \goodbreak \begin{quotation} \centerline{\textsl{\large "Keiner von uns wusste, dass es schädlich war."}} \medskip \noindent Vertreter der Bananen-Kampagne trafen sich mit Mitgliedern von CONATRAB (Nationalrat der Arbeiter). Diese Organisation kämpft für die Anerkennung der Rechte von Pestizid-Opfern, insbesondere der Betroffenen von DBCP (Markenname: Nemagon).Das Gespräch führte Boris Scharlowski (BS) von BanaFair. Beteiligt waren die Nemagon-Geschädigten José Angel Porroz Quesada (41, JPQ) und Gerardo Marín Nunez (41, GMN). Allein Gerardo Nunez war 19 Jahre lang auf Bananenplantagen beschäftigt. \textsl{BS:} War den Menschen auf den Plantagen, auf denen Nemagon eingesetzt wurde, bewußt, dass das Produkt Schaden anrichten kann? Gab es einen Schutz vor Vergiftungen? \textsl{GMN:} Zu keiner Zeit wußte jemand von uns, dass es schädlich war. Auch gab es weder Schutzkleidung noch eine ausreichende technische Ausrüstung. Es wurde in normaler Kleidung gearbeitet. \textsl{JPQ:} Die Mütter und Ehefrauen wuschen die Kleidung, mit der wir nach Hause zurückkehrten. Wir nahmen außerdem das Nemagon, um Fische zu töten und sie zu essen. \textsl{BS:} Sie sind Opfer von Nemagon geworden. Was waren die Auswirkungen? \textsl{GMN:} Im Gegensatz zu vielen anderen bin ich nicht unfruchtbar geworden. Doch alle meine sechs Kinder sind nicht gesund. Eine Tochter ist heute 16 Jahre alt und spielt nur mit Püppchen. Im Kinderkrankenhaus wurde uns gesagt, sie sei auf dem Stand von drei Jahren zurückgeblieben. Die dritte Tochter ist völlig allergisch auf alles mögliche, u.a. auf Staub und Regen, mit allem hat sie Probleme. Zwei Jungen sind auf der Schule und haben Probleme mit der Ausbildung, sie vergessen vieles. Meine Frau ist ständig krank, sie hat Kopf- und Magenschmerzen. Auch ich bin schwer getroffen: mit meinen 41 Jahren fühle ich mich schon total fertig. Ich erhalte eine psychologische Behandlung wegen meines Kopfes. Ich vergesse vieles, es ist anstrengend, mich auf Leute einzulassen. Es kostet mich Anstrengung zu reden und von meinem Problemen zu erzählen. Die Nemagonfälle nur als ein Problem der Unfruchtbarkeit darzustellen, heißt, das Problem sehr stark zu reduzieren. Es gibt reihenweise verborgene Fälle von Alkoholismus, Selbstmorden, Scheidungen und Trennungen, die auf die DBCP-Er\-krank\-ung\-en zurückzuführen sind. Anders gesagt: Der Nemagon-Skandal betrifft das ganze Leben der Bananenarbeiter. Ich stelle mich als Spiegel vor meine beiden Jungen, damit sie erkennen können, wie krank ich bin und ich lasse sie lernen, damit sie nicht auf eine Plantage zum Arbeiten gehen müssen und dort einen erbärmlichen Lohn bekommen, sondern damit sie ein Diplom haben. Damit sie nicht das durchmachen müssen, was wir durchgemacht haben. \textsl{BS:} Als Sie Ihre Erkrankung bemerkten, gab es da schon die Idee, sich zu organisieren und eine Entschädigung zu fordern? \textsl{JPQ:} Da ich damals in der Stadt lebte, war ich nicht so auf dem Laufenden mit den Sachen, die auf dem Land passierten. Als wir zurückkehrten, wurde mir klar, dass die Leute, die zu jener Zeit hier gearbeitet hatten, in den siebziger Jahren, quasi alle geschädigt waren. Ich bekam mit, dass es Leute gab, die sich organisiert hatten, weil es ein Problem ist, für eine Entschädigung zu streiten. Es wurde aber ausschließlich für eine Entschädigung für die Unfruchtbarkeit gestritten. Von den körperlichen, mentalen und psychischen Leiden wurde keine Notiz genommen. Ich machte auch mit und ging zu einer Rechtsanwältin. Am Ende war alles, was sie mir bezahlten, 1071 US-\$. So eine Entschädigung für mein Leiden, ich habe chronische Niereninsuffizienz, also ehrlich, das ist alles andere als eine gerechte Bezahlung. Ich halte die Summe für sehr ungerecht, weil in Wirklichkeit der Schaden wesentlich höher ist. Ich konnte z.B. nicht mehr arbeiten. Das Geld reichte kaum, um einige Zeit etwas zu essen zu haben. \textsl{GMN:} Auch mein Fall wurde von dieser Rechtsanwältin betreut. Aber er wurde schon nicht mehr berücksichtigt, da sie mir eine Entschädigung gezahlt hatten von hundert Dollar wegen meiner persönlichen Ausgaben. Die ökonomische Situation ist kritisch hier, wir können kaum von meinem Gehalt leben. \textsl{BS:} Was wünschen Sie sich für die Zukunft? \textsl{JPQ:} Wir, die Nemagon-Geschädigten, durchschreiten eine schwierige Situation, und wir wollen, daß dies bekannt wird in der Welt, damit man sich mit uns solidarisiert. Damit wir in Zukunft Bananenplantagen haben können mit einem würdigen System und nicht nur hier, sondern auch in anderen Ländern. \end{quotation} \section{Die Gegenmaßnahmen} \quellec[30]{GEO 07/2003 Mittelamerika: Leben mit dem Gift} \quellec[33]{http://www1.evb.ch/p10127.html} Schon Anfang der Neunziger beschloss die Weltgesundheitsorganisation, dass etwas gegen das Pestizidproblem in Lateinamerika getan werden muss. Und so wurde die Gesundheitsorganisation \G{PLAGSALUD} gegründet. Sie soll die Plantagenarbeiter über die richtige Handhabung von Pestiziden und die gesundheitlichen Risiken informieren und die örtlichen Mediziner über die Vergiftungssymptome aufklären, um somit eine bessere medizinische Versorgung möglich zu machen. Außerdem soll PLAGSALUD dafür sorgen, dass die gesetzlichen Regelungen eingehalten werden. Weitere Ziele dieser Organisation sind, mehr über die Ursachen für die Vergiftungen durch Pestizide herauszufinden und eine Datenbank über die Anzahl, Ursachen und Folgen der Vergiftungen zu erstellen. Ein wichtiger Bereich der Arbeit bei PLAGSALUD liegt vor allem in der Prävention von Vergiftungen. Unterstützung dabei erhält diese Organisation von der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation PAHO. All diese Präventionsprogramme sind natürlich nur mit Besuchen direkt vor Ort machbar. Deshalb hat PLAGSALUD Berater wie den amerikanischen Soziologen Douglas Murray. Er reist regelmäßig durch Lateinamerika und macht Kontrollbesuche auf Plantagen. Aber Douglas Murray hält die Unwissenheit der Plantagenarbeiter nicht für den Hauptgrund für die Millionen Vergiftungen, für ihn sind die giftigen Pestizide selbst das Hauptproblem. Deshalb postuliert er schon lange das Verbot der giftigsten Mittel. \section{Die Alternative am Beispiel Bribri} \begin{figure}[t] \centering \includegraphics[width=0.8\textwidth]{bilder/karte} \caption{http://encarta.msn.com} \end{figure} \quellec[30]{GEO 07/2003 Mittelamerika: Leben mit dem Gift} \quellec[32]{http://www.banafair.de} \quelle{http://www.biothemen.de} Dass es auch ohne Pestizide geht, zeigen die Bananenplantagen in Bribri, in den Talamanca-Bergen im der Südosten Costa Ricas. Hier werden Bananen für den fairen Handel und vor allem für Biomus für Babynahrung angepflanzt und zwar von den dortigen Eingeborenen, den gleichnamigen Bribri, ganz ohne Pestizide. In Bribri sieht es nicht so aus wie auf den für Lateinamerika üblichen Bananeplantagen. Es gibt keine Monokulturen, sondern die Bananenstauden wachsen direkt neben Kokospalmen, Kakaobäumen und anderen Nutzpflanzen. Dadurch stehen die Bananenstauden im Schatten und werden von dem sonnenliebenden Sigatoka-Pilz gar nicht erst befallen. Und sollte das doch mal der Fall sein, benutzen die Bribri biologische Mikroorganismen, z.B. benutzen sie Viren, die sie aus parasitierenden Pilzen am Boden gewinnen. Die Bio-Bananen werden hauptsächlich in die USA exportiert. Der Export nach Europa gestaltet sich schwieriger, da die Bananenschalen auf der längeren Überfahrt braune Flecken bekommen, welche bei den europäischen Käufern nicht so beliebt sind. Denn man will ja immer beides: die Bananen sollen frei von Pestiziden sein und natürlich schön aussehen, denn das Auge ist ja schließlich mit! Unterstützt werden die Lieferungen von Bio-Bananen durch die deutsche Fair-Trade-Organisation BanaFair, die sich, wie der Name schon sagt, für einen fairen Preis für die Bio-Bananen einsetzt. Denn ohne solche Organisationen wären Plantagen wie die in Bribri vielleicht gar nicht möglich. Die alternativen Plantagen könnten ohne solche Hilfe wohl niemals auf dem Markt bestehen. \begin{figure}[!h] \centering \includegraphics[width=0.625\textwidth]{bilder/transfair} \caption{Siegel für fair gehandelte Produkte\newline http://www.transfair.org} \end{figure} \section{Gründe für die falsche Anwendung} \quellec[30]{GEO 07/2003 Mittelamerika: Leben mit dem Gift} \quellec[33]{http://www1.evb.ch/p10127.html} \quelle{http://www.cia.gov/cia/publications/factbook} \quelle{http://www.auswaertiges-amt.de} \quelle{http://de.wikipedia.org} \quelle{http://www.alles-ueber-tabak.de} Für die falsche Anwendung gibt es vielerlei Gründe. Die wichtigsten sind wohl Armut und die schlechte Bildung in den lateinamerikanischen Ländern. Die meisten Plantagenbesitzer denken nur an den schnellen Profit und vergessen dabei die Gesundheit ihrer Arbeiter. Zum Beispiel kaufen die Plantagenbesitzer die billigsten Pestizide auf dem Markt. Für Schutzkleidung geben sie kein Geld aus und auch Wasser zum nötigen Händewaschen oder Duschen ist zu teuer. Außerdem nutzen die Plantagenbesitzer oftmals die Armut ihrer Arbeiter, die in den lateinamerikanischen Ländern sehr hoch ist, aus. Denn wenn ein Arbeiter nach Schutzkleidung fragen würde, könnte ihm der Plantagenbesitzer mit der Kündigung drohen. Genug Interessenten für die Arbeit gibt es ja. In den lateinamerikanischen Ländern ist die Arbeitslosigkeit zum Teil sehr hoch und so kommt es, dass viele der armen Menschen jeden Job machen würden. Gerade auch, weil die meisten nur eine sehr schlechte Bildung besitzen und somit keine bessere Arbeit erhalten können. \begin{figure}[!b] \centering \bigcaption{Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze in \%} \includegraphics[width=0.8\textwidth]{diagramme/armut} \caption{Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze in \%\newline Basierend auf den Zahlen von http://www.cia.gov/cia/publications/factbook} \end{figure} \begin{figure}[h] \centering \bigcaption{Pro-Kopf-Einkommen 2005 in US-\$} \includegraphics[width=0.8\textwidth]{diagramme/einkommen} \caption{Pro-Kopf-Einkommen 2005 in US-\$\newline Basierend auf den Zahlen von http://www.cia.gov/cia/publications/factbook} \end{figure} \pagebreak Außerdem ist die Bildung in diesen Ländern oftmals nicht ausreichend. Viele sind Analphabeten und können die Warnhinweise auf den Pestiziden nicht mal lesen. Wenn diese überhaupt in ihrer Sprache dabeistehen. Des Weiteren haben Befragungen von Plantagenarbeitern, die die Warnhinweise lesen können, ergeben, dass die Hinweise oftmals sehr kompliziert und für die Arbeiter nur schwer verständlich sind. Vor allem erkennen die meisten Plantagenarbeiter nicht das gesundheitliche Risiko ihrer Arbeit, denn sie halten die Beschwerden, die sie nach der Arbeit haben, für Begleiterscheinungen ihrer Arbeit, die normal sind, und nicht für Anzeichen einer Vergiftung. Und die Pestizide werden auch noch in den Alltag der Arbeiter integriert, denn sie wurden niemals für ihre Arbeit mit Pestiziden ausgebildet oder überhaupt über die Gefahren aufgeklärt. Ganz im Gegenteil: Vielerorts wird von den Chemiekonzernen für die Pestizide geworben. Sie werden geradezu als Freund und Helfer in der Not beschrieben. \begin{figure}[h] \centering \bigcaption{Analphabetismus in \%} \includegraphics[width=\textwidth]{diagramme/analphabetismus} \caption{Analphabetismus in \%\newline Basierend auf den Zahlen von http://www.cia.gov/cia/publications/factbook} \end{figure} Ein weiteres Problem ist, dass selbst wenn Schutzkleidung vorhanden ist, wird sie von den Arbeitern oftmals nicht genutzt. Denn die Schutzkleidung ist nicht für dieses feucht-heiße Klima gemacht und somit bei den Arbeitern alles andere als beliebt. Also entscheiden sich die Arbeiter für luftigere Kleidung und nehmen die juckende Haut dafür in Kauf. Des Weiteren spielt der wirtschaftliche Aspekt eine wichtige Rolle. Denn in diesen Gegenden hat der Agrarsektor eine große Bedeutung und Agrarprodukte sind die wichtigsten Exportgüter. Somit ist die Landwirtschaft dort oftmals abhängig von den Pflanzenschutzmitteln, denn ohne sie besteht eine große Gefahr von Missernten, die sich die Wirtschaft nicht leisten kann. Außerdem ist in Lateinamerika ein relativ hoher Prozentsatz der Beschäftigten in der Landwirtschaft tätig. \begin{figure}[p] \centering \bigcaption{Anteile am Bruttoinlandsprodukt 2005 in \%} \includegraphics[width=\textwidth]{diagramme/bip} \caption{Anteile am Bruttoinlandsprodukt 2005 in \%\newline Basierend auf den Zahlen von http://www.cia.gov/cia/publications/factbook} \end{figure} \begin{figure}[p] \centering \bigcaption{Anteile der Beschäftigten in \%} \includegraphics[width=\textwidth]{diagramme/anteile} \caption{Anteile der Beschäftigten in \%\newline Basierend auf den Zahlen von http://www.cia.gov/cia/publications/factbook} \end{figure} \pagebreak \section{Schlusswort} Das alles, dieses ganze Kapitel, ja eigentlich die ganze Seminarkursarbeit begann mit der dem GEO-Heft Ausgabe 07/2003 und dem darin enthaltenen Bericht \emph{Mittelamerika: Leben mit dem Gift}. Als ich den Bericht zum ersten Mal las, musste ich ziemlich lachen. ``Wie kann man nur so blöd sein?!'', dachte ich mir. Aber je mehr ich mich über das Thema, insbesondere über die Gründe für die falsche Anwendung, informierte, desto mehr verging mir das Lachen. Ganz besonders der Fall ``Nemagon'' hat mich tief beeindruckt. Vor allem bewundere ich Menschen wie Douglas Murray, die aktiv etwas gegen diese Problem tun und den Menschen dort helfen. Und -- ob unabsichtlich oder unterbewusst -- habe ich, seit ich mich mit dem Thema beschäftige, keine einzige Banane gegessen. Und wenn ich es mal wieder tun sollte, werde ich die Banane wohl vorher misstrauisch beäugen. Vielleicht tun Sie, werter Leser, ja dasselbe. Vielleicht werden Sie sich bei dem Genuss einer Banane darüber Gedanken machen, was Sie hier gelesen haben. Und vielleicht werden Sie beim nächsten Bananenkauf ja mal eine Banane mit einem Fair-Trade-Siegel kaufen und über die braunen Flecken auf der Schale hinweg sehen. Denn schließlich sind es doch die inneren Werte (einer Banane), die zählen! Und wenn es so ist, hat meine Seminarkursarbeit ihren Sinn erfüllt. %%% Local Variables: %%% mode: latex %%% TeX-master: "doku" %%% End: